Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
dem er seinerseits dem Vaterland diente, hinunter in die Stadt. Sie trafen sich und gingen gemeinsam spazieren, aber niemals allein. Sie waren immer in Begleitung einer der vielen Schwestern meines Vaters. Es war im Interesse beider Familien, Mama und ihre Tugend zu schützen. Sonst hätte es mit meiner Mutter noch dasselbe Ende nehmen können wie mit ihrer Freundin Arta.
Arta traf sich heimlich mit ihrem Verlobten, ebenfalls ein Lehrer. Sie trafen sich in der Wohnung eines Freundes, der ihnen die Schlüssel überließ, solange niemand zu Hause war. Es wäre geschmacklos, sich auszumalen, wie sie ihre Zeit miteinander verbrachten, aber die Vermutung liegt nahe, dass die beiden gegenseitiges Verlangen verspürten. Sie kamen getrennt zu dem Freund und gingen auf dieselbe Weise wieder fort, dennoch wurden sie von den Nachbarn dieser Wohnung, die ihre Leidenschaften barg, bemerkt.
Und die Nachbarn hatten beschlossen, für Ordnung zu sorgen. Eines Tages warteten sie ab, bis die beiden Turteltauben in der Wohnung waren und riefen dann den Parteisekretär an.
»Wir haben eine Brutstätte unmoralischen Verhaltens entdeckt, die sich zu einem schlechten Vorbild für unsere Jugend entwickeln könnte«, sagten sie dem Parteisekretär, der sich, ohne Zeit zu verlieren, gemeinsam mit zwei Zeugen zum Tatort begab. Unterwegs gesellte sich ihnen noch ein Polizist aus dem Viertel dazu, der froh war, endlich seinen eintönigen Arbeitsalltag unterbrechen zu können (zu Hoxhas Zeiten gab es keinerlei Vorkommnisse, kein Blatt bewegte sich).
Gemeinsam klopften sie an die Tür. Von innen kam keine Antwort. Sie klopften energischer. »Da sieht man’s, die sind viel zu beschäftigt, uns zu hören«, bemerkte einer der Nachbarn, der es kaum noch abwarten konnte. Endlich kam Jorgo mit gerötetem Gesicht und nur halb bekleidet, um zu öffnen. Ungeduldig drängte die Gruppe hinein. Alle liefen herum und suchten nach dem Flittchen, aber von Arta nirgendwo eine Spur. Wollten diese beiden Kurvar etwa alle auf den Arm nehmen? Siegessicher ging der Parteisekretär auf den Schrank zu, doch stattdessen fanden sie Arta hinter dem Samtvorhang versteckt. Immerhin hatten sich die Nachbarn nicht geirrt, der damalige Slogan lautete: Das Volk ist sein eigener Ordnungshüter!
Jorgo und Arta schlossen den Ehebund mit einer »Schandhochzeit«. Jedes Mal wenn Jorgos Verwandte Arta trafen, nannten sie sie Kurva. Ihrer Meinung nach trug sie die Schuld an dem Geschehen: Schließlich ist bekannt, dass alle Männer es probieren, es ist Aufgabe der Frau, nein zu sagen.
Die beiden Übeltäter wurden in ein abgelegenes Bergdorf versetzt, um die Kinder dort zu unterrichten. Man musste sich fragen, warum ausgerechnet die armen Bergbewohner von zwei so liederlichen Personen, von zwei Verkommenen erzogen werden sollten.
Mamas Familie nahm sich sehr in Acht vor solchen Dingen. Den Versuchungen des Fleisches nachzugeben konnte dich teuer zu stehen kommen, die Kinder mussten in den Bergen wie die Wilden aufwachsen, und die Familie war für immer gezeichnet. Wie es schien, sah der Entwurf unseres neuen Menschen keinerlei leidenschaftliche Regung außerhalb der Ehe vor.
Wenn ich heute darüber nachdenke, finde ich unglaubliche Ähnlichkeiten zwischen der katholischen Kirche und dem Kommunismus meines Landes. Aber unser Kommunismus war grausamer als jeder aus der Geschichte bekannte, noch so konservative Papst.
Zwei
Während meine Mutter auf die Heiratsurkunde wartete, ging sie schüchtern und streng bewacht mit ihrem Verlobten spazieren. Ich glaube, sie war ganz froh darüber, nicht mit meinem Vater allein zu bleiben. Die beiden verspürten zum Glück keine merkwürdigen Gefühle oder gegenseitiges Verlangen. Besser so. Sie hatten noch ein ganzes Leben vor sich, wozu also Eile? Außerdem war es in unserer Familie Tradition, dass die wahre Liebe erst nach der Hochzeit erwachte.
Am Tag des »Honig-Tauchens«, nach dem großartigen Einzug durch Großmutter Sabas Tor mit einem Gefolge von dreihundert Gästen allein seitens des Bräutigams, konnte sich Mama endlich ein wenig in einem der Zimmer ausruhen. Sie war müde, am Tag zuvor war sie auf einem anderen Hochzeitsfest gewesen: ihrem eigenen. Weitere dreihundert Gäste hatten im Haus ihrer Eltern gefeiert.
Aus dem Fenster dieses Zimmers fiel ihr Blick auf die zum Braten bereitgestellten, abgehäuteten und aufgespießten Lämmchen.
Sie hörte das mehrstimmige Lied der Frauen:
Unsere Braut ist
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