Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Weggefährten für die große Reise in die neue Gesellschaft gefunden hatte. Weg und Reise: Es schien, als würde Papa sie nach wer weiß wohin mitnehmen.
Ich habe ein Foto von ihr in diesem grauenhaften beigefarbenen Kostüm, in dem sie aussieht wie eine Stewardess, auch wenn die Ärmste noch nie geflogen war. Die Hochzeit war, wenn man so sagen darf, und ohne sie damit kränken zu wollen, ihr erster »Flug«. Ihre Augenbrauen sind buschig wie die des Genossen Breschnew, mit der Hand umklammert sie ein weißes Täschchen, das einzige Zeichen für diesen Tag, der eigentlich ganz in Weiß hätte sein sollen. Papa ist bloß ein Detail auf diesem Foto. Er, Genosse Luan, ist nur der Bräutigam.
Vor dem Haus von Großmutter Saba, der Mutter meines Vaters, hielt der Hochzeitszug plötzlich: Großmutter wartete am Tor mit einer bis an den Rand gefüllten Schale Honig. Sie ergriff die Hand der Genossin Klementina, meiner Mutter, und tauchte die Finger der frischen Braut in die zähe gelbe Flüssigkeit. Dann wischte sie Mamas Hand an dem Holztor ab und rief bewegt:
»Möge dein Leben in diesem Haus so süß werden wie dieser Honig.«
Trotz der guten Absichten von Großmutter Saba verliefen die Dinge anders, als sie es erhoffte.
Auf diese Weise hielt meine Mutter Einzug in jene an Männern so rare Familie. Mein Vater hatte fünf Schwestern und die schwere Aufgabe, den Familiennamen weiterzugeben. Dabei sollte ihm meine Mutter eine große Hilfe sein. Sie hatte fünf Brüder, und nach den Berechnungen meiner Großmutter würde sie viele Jungen zur Welt bringen, genau wie ihre Mutter. Aber manche Rechnungen sind eben ungenau: Wenn nun stattdessen mein Vater nach seinem Vater geraten war? Großmutter Saba zog dieses Risiko in Betracht und klopfte schnurstracks an die Tür meiner Großeltern mütterlicherseits. Sie hatten die Braut gemeinsam ausgesucht, Großmutter Saba und Papa, aber er bestand darauf, die Antwort schon zu kennen, bevor er bei dem zukünftigen Schwiegervater um die Hand anhielt.
»Hör dich um«, sagte er zu seiner Mutter, »frag deine Freundinnen, mach was du willst, aber unternimm keinen Versuch, bevor du nicht sicher bist, dass sie uns gehört!«
Mama gehörte wirklich ihnen beiden, bis Großmutter irgendwann leider starb. Arme Mama, nach über dreißig Jahren Ehe musste sie mit meinem Vater von vorne beginnen. Die Beziehung zwischen zwei Menschen ist bisweilen anders als die zwischen dreien.
Die Eltern meiner Mutter stimmten sofort zu. Das war angesichts des Lebenslaufs meiner Großmutter vorauszusehen. Nicht, dass mein Vater dumm war, oder gar hässlich. Im Gegenteil, er war ein Adonis, mit seinem blonden Haar und den blauen Augen verkörperte er zeitlose männliche Schönheit. Er hatte sein Studium seit ein paar Jahren beendet und arbeitete als Lehrer in einem Dorf, wo er vom Vaterland unbedingt gebraucht wurde. Aber Großmutter Saba genoss hohes Ansehen, nicht nur wegen ihres starken Charakters, sondern vor allem wegen ihrer makellosen Biografie. Die Onkel meines Vaters hatten durch ihren Tod für dessen Zukunft gesorgt, sie waren Nationalhelden.
Auch die Biografie meines Großvaters mütterlicherseits konnte sich sehen lassen, nur dass er, im Gegensatz zu meinem Großvater väterlicherseits, vor langer Zeit einmal reich gewesen war. Nichts Schlimmes, er war als Freiwilliger in den Krieg gegangen, hatte den Partisanen alles zur Verfügung gestellt und nach dem Sieg seine gesamten Güter der Gemeinschaft überlassen.
»Brüder«, pflegte Enver Hoxha in jenen Jahren zu sagen, »was zuvor euch gehörte, gehört nun uns.«
Ich glaube, die Albaner haben diesen Satz anfangs falsch verstanden.
Mein Großvater hatte nicht deshalb alles verschenkt, weil Hoxha es wollte oder weil er Angst davor hatte, was die Zukunft bringen würde. Er glaubte wirklich daran, er war ein überzeugter Marxist, der jahrelang Das Kapital studiert hatte, und dachte, eine neue, auf Gleichheit gegründete Gesellschaft errichten zu können. Selbst wenn er für seine kümmerliche Fleischration endlos in der Schlange stand, sagte er sich, dass schließlich alle Opfer bringen müssten. Abgesehen davon war die einzige Alternative ein Leben als Kulak: der Ruin für ihn und die gesamte Sippe über sieben Generationen.
Nach der Einwilligung meines Großvaters mütterlicherseits dauerten die Hochzeitsvorbereitungen noch beinahe zwei Jahre. Mama unterrichtete in einer Volksschule in Vlora, und Papa kam jeden Samstag aus seinem Dorf, in
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