Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
eine Stelle als Schulleiter frei werden würde. Der Posten war wie für ihn geschaffen. Aber wie sollte er an ihn rankommen? Es gab keine öffentliche Ausschreibung, man konnte sich nicht offiziell bewerben. Wenn es um leitende Stellungen ging, gab es viele Interessenten. Aber die Partei hatte klare Vorstellungen davon, wer ein Gymnasium leiten durfte.
Papa versuchte es zunächst auf dem Weg der ärztlichen Atteste: seltene, unbekannte Krankheiten. Er ließ sie sich von einem Cousin ausstellen, der Arzt war. Aber die Sache gestaltete sich nicht so einfach, denn der Cousin war Leiter des Krankenhauses Nummer Siebzehn (ein Name, ein Programm), der Irrenanstalt, und auf den Bescheinigungen prangte dick und fett das Logo der Klinik. Ein Irrer wollte Gymnasialleiter werden?
Papa griff also auf Plan B zurück: die jammernde Mutter auf den Fluren des Zentralkomitees der Partei. Schwester von Nationalhelden sucht Posten als Schulleiter für ihren einzigen Sohn. Aber weshalb sollte er näher zu Hause arbeiten, fragte man sie, wo er doch jeden Nachmittag um vier von der Militärbasis zurückkam? Wenn mir was passiert, antwortete Großmutter Saba, kann er aus dem Gymnasium zu Fuß innerhalb von fünf Minuten bei mir sein, in der Militärbasis muss er dagegen auf den Wagen warten, der ihn um vier zurückfährt. Großmutter Saba wusste selbst nur zu genau, wie schwach dieses Argument war, und sie schämte sich dafür, aber was tut man nicht alles für seine Kinder.
»Falls Ihnen etwas passiert, verspreche ich Ihnen, dass ich eigenhändig den Wagen des Parteikomitees schicken werde, um Ihren Sohn abholen zu lassen. Wie lange wird das dauern, Genossin Saba? Nicht mehr als fünf Minuten, wir leben schließlich nicht in einer Riesenmetropole wie Tokio«, antwortete der Parteisekretär.
»Was für ein Schwachkopf«, schimpfte Papa am Abend, als Großmutter von den Worten des Parteisekretärs berichtete. »Ich wette, der weiß nicht mal, wo Tokio liegt.«
»Warum gehst du nicht einfach arbeiten und lässt es gut sein?«, fragte Großmutter. »Bist du diese ganzen Strategien nicht langsam leid? Ich weiß, was du jetzt tun würdest, wenn’s die Partei und die Regierung nicht gäbe: Erde würdest du umgraben, und vielleicht wärst du damit sogar glücklicher. Die Regierung ist viel zu gut, viel zu gut, ihr habt sie nicht mehr kennengelernt, die Herren …«
»Besser so«, erwiderte Papa, »mein Vater, der sie kannte, trank den ganzen Tag lang Raki.«
»Lass deinen Vater aus dem Spiel, er möge in Frieden ruhen. Aber du hast recht, er ist mit Schuld daran, dass du dich so verhältst. Nie ein vorwurfsvolles Wort, nie ein Klaps oder eine Ohrfeige. Das hätte dir ab und zu ganz gutgetan.«
Plan C, der Notplan: meine Mutter. Sie sollte zur Frau des Parteisekretärs gehen, in verzweifeltes Schluchzen ausbrechen und sie um Hilfe bitten, Papa eine Stelle direkt um die Ecke zu beschaffen.
Papa war an diesem Tag nervös, und als er Mama in ihrem beigefarbenen taillierten Kostüm sah, das rabenschwarze Haar frisch gewaschen, platzte er los:
»Nein, nein, nein. So läuft doch niemand rum, der ernsthafte Familienprobleme hat. Du siehst nicht aus wie die leidende, bekümmerte Ehefrau, die voller Sorge zu Hause wartet. Du musst ein altes, farbloses Kleid anziehen, am besten ein bisschen abgetragen, damit man sieht, dass du derart zerstreut und unglücklich bist, dass du nicht mal Zeit und Lust hast, dich um dein Äußeres zu kümmern.«
Mama ging zurück ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
»Meine arme Schwiegertochter«, sagte Großmutter Saba, »ich werde nicht mehr lange mit ihm zu schaffen haben, aber du hast gerade erst angefangen.«
Auch Plan C ging schief. Papa begleitete Mama bis zum Haus des Parteisekretärs, dann ging er in die Kneipe gegenüber, um auf sie zu warten.
Als sie zurückkam, berichtete Mama, dass die Frau des Parteisekretärs sehr freundlich gewesen sei, aber dass sie nichts machen könne. Sie mischte sich nicht in die Arbeit ihres Mannes ein, und er ließ sich nichts von ihr vorschreiben. Dafür gab es die Partei.
Ein paar Tage später saßen Großmutter Saba und Mama beim üblichen Nachmittagskaffee zusammen.
»Hat dir die Frau des Parteisekretärs wenigstens einen anständigen Kaffee gemacht, wie es sich gehört?«, fragte Großmutter in scherzhaftem Ton.
»Ja«, antwortete Mama, »natürlich. Sie hat ihn mir im Treppenhaus serviert, wo ich mich versteckt habe, bis diese verdammten zwanzig Minuten um
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