Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
waren.«
Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus, dann meinte Großmutter:
»Sehr schön, das hast du gut gemacht, ich hatte dich wirklich unterschätzt.«
Papa bekam die Stelle unverhofft drei Monate später: Die Person, die man zunächst dafür auserkoren hatte, wurde auf dringliches Ersuchen in eine entlegene Schule in den Bergen versetzt …
Dieses Mal musste Papa keinen Finger krumm machen: Alle bis auf die Frau des Parteisekretärs erinnerten sich an ihn.
Sechs
Religion war kein Thema, über das bei uns zu Hause oft gesprochen wurde. Abgesehen von Mamas berüchtigten, gegen Kirchen und Moscheen gerichteten Hieben mit der Spitzhacke.
»Was kann ich dazu?«, fragte sie. »Es war schließlich nicht meine Entscheidung.«
»Schon«, erwiderte Großmutter Saba, um sie zu reizen, »aber du warst dabei. Gott hat zugesehen, als du sein Haus zerstört hast.«
»Welchen Gott meinst du überhaupt, den der Kirchen oder den der Moscheen?«
Großmutter Saba ließ sich nicht aus der Ruhe bringen:
»Wer auch immer der wahre Gott ist, du kommst nicht davon, denn du hast all seine Häuser entweiht.«
Bei diesen Wortgefechten bereitete mir einzig und allein der Gedanke an mein eigenes Schicksal Sorge. Rächte sich Gott auch an den Verwandten der Zerstörer?
»Großmutter«, fragte ich, »sind wir wie die Türken oder wie die Griechen, sind wir muslimisch oder christlich?
Großmutter Saba wusste keine Antwort darauf, und in diesem Fall hatte ihre Ratlosigkeit nichts mit Enver Hoxha zu tun. Dieser hatte vorsorglich beide Religionen abgeschafft, aber die religiöse Identität seines Volkes war bereits vorher umstritten gewesen. Als Heiden wurden wir zum Christentum bekehrt und brachten irgendwann sogar einen eigenen Papst hervor: Clemens XI. Danach kamen Sunniten und Bektaschi an die Reihe. Das erschien niemandem problematisch, die Religion ließ sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt wechseln, dabei spielten ganz verschiedene Dinge eine Rolle. Das war der Glaube meines Landes vor der Diktatur.
»Großmutter, sind wir nicht wie die Türken, wo wir einen echt muslimischen Familiennamen haben?«
»Vielleicht«, antwortete sie.
Aber nach kurzem Nachdenken sagte sie:
»Halb ja, halb nein.«
»Großmutter, man kann nicht halb Moslem und halb Christ sein, Glaube ist Glaube, entweder du hast ihn, oder du hast ihn nicht.«
»Ich habe meinen Glauben, aber ich glaube an alle, deshalb bin ich ein bisschen wie die Türken und ein bisschen wie die Griechen.«
Großmutter schien verrückt zu sein, aber es war nicht ihre Schuld.
Unser Familienname lautet Islami.
Es heißt, dass im Dorf meines Großvaters noch heute ein anderer Name existiert, der unsere gesamte Sippe bezeichnet. Ein Name, der nirgendwo steht, von dem aber alle wissen, zu welcher Familie er gehört. Zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert hatte ein Vorfahre meines Großvaters, um die Steuern an die osmanische Regierung zu umgehen, den Namen gewechselt und sich Islami genannt. Eines Tages, so wird erzählt, kamen die osmanischen Steuereintreiber, und alle Männer aus dem Dorf versammelten sich auf dem großen Platz. Unter ihnen auch der Großvater meines Urgroßvaters. Die Steuereintreiber holten ihre Listen hervor und riefen einen nach dem anderen auf. Als die Reihe an meinen Vorfahren kam, senkte sich Schweigen über den Platz.
» Efendi Islami, ist er da, oder ist er nicht da?«, schrie der Türke. »Er braucht nämlich keine Steuern zu zahlen.«
Die Männer sahen sich um. Dieser Islami musste neu sein im Dorf. Aber auch bei genauerer Betrachtung war nirgends ein neues Gesicht zu entdecken.
Mein Vorfahr kommentierte belustigt:
»Dieser Herr Islami meldet sich nicht, weil er Angst hat, dass er allen einen ausgeben muss, wo er schon keine Steuern zahlt.«
Mein armer Vorfahr, er hatte wirklich vergessen, dass er selbst Mehmet Islami war.
Man hatte ihm geraten, in die Stadt zu gehen und bei der türkischen Meldestelle seinen Namen ändern zu lassen, so bräuchte er weder Steuern zu zahlen, noch würden seine Söhne im Krieg für das osmanische Reich fallen. Für ihn würde sich damit nichts ändern. Im Dorf kannten ihn alle. Es handelte sich bloß um einen harmlosen Trick, um die Türken an der Nase herumzuführen. Schade, dass dieser Name, an den er sich nicht mehr erinnerte, von einer Generation an die nächste weitergegeben und zum einzig gültigen Familiennamen wurde.
Großmutter nahm mich immer mit in die Gotteshäuser. Eins nannte sie
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