Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
gekommen, um bei uns einmal richtig Dampf abzulassen, da es in China jenen echten Drachen von Mao Tse-Tung gäbe, der sie im Zaum hielte.
Tante Eugenia hatte mit ihnen zu tun. Sie war Bauingenieurin und arbeitete damals in einem Büro, das mit der Planung eines großen Gebäudes beauftragt war, dessen Verwendungszweck man noch nicht kannte.
»Wir werden sehen«, hieß es von oben. »Erst wird gebaut, dann wird entschieden, das sind Dinge, die euch nicht betreffen. Ihr habt nur zu planen.«
»Schon«, antworteten unsere Ingenieure, »aber es macht einen Unterschied, ob man eine Fabrik baut oder ein Hotel.«
Für die da oben waren das unwichtige Details. Mein Land hat sich schon immer den Anweisungen der Herrschenden gebeugt, die mal »aufbauen«, ein andermal wieder »niederreißen« riefen.
In den Zeiten des unermüdlichen (und vollkommen planlosen) Aufbaus kam es zu einem Streit zwischen Tante Eugenia und einem der chinesischen Ingenieure. In ruhigeren Zeiten hätte man von Meinungsverschiedenheit gesprochen. Die Tante mochte weitläufige, großzügige Anlagen, der Chinese setzte dagegen auf kleine, verwinkelte Innenräume. Weil sich beide Seiten einigen mussten, um den Entwurf durchzubekommen, stieß Tante Eugenia verärgert hervor:
»Ich bin nicht hier, um Hühnerställe zu entwerfen. Niemals werde ich diesen Mist unterzeichnen!«
Der chinesische Ingenieur hatte schon seit Monaten darauf gewartet, dass Tante Eugenia die Beherrschung verlieren möge. Er verfasste ein Beschwerdeschreiben, das er ans Zentralkomitee der albanischen Partei sowie an seine Botschaft schickte, die wiederum unverzüglich einen Bericht an das Zentralkomitee der chinesischen Partei sandte. Die Beschwerdeschreiben irrten tagelang von einem Kontinent zum anderen.
Genossin Eugenia hatte den chinesischen Bruder beleidigt, indem sie behauptete, er wolle nur Hühnerställe entwerfen, womit sie indirekt unterstellte, man könne in China angesichts der hohen Bevölkerungszahl, nur Hühnerställe bauen.
»Da hast du dir schön was eingebrockt«, sagte der Büroleiter zur Tante. »Entschuldige dich, übe Selbstkritik, sag, dass es bloß ein Scherz, eine dumme Bemerkung war, dass du müde und gestresst warst … all diese Dinge, die ihr Frauen so gut könnt. Ich habe die Nase auch voll, aber was sollen wir machen?«
Die Tante übte Selbstkritik, aber sie verspielte dennoch ihre Stelle im Planungsbüro. Sie wurde aufs Land versetzt, wo sie zum Glück nicht als Bauarbeiterin endete, sondern die laufenden Arbeiten überwachen musste.
»Jetzt, wo du jeden Abend kalk- und lehmbeschmiert nach Hause kommst, begreifst du hoffentlich, dass es besser ist, sich nicht um chinesische Hühnerställe zu kümmern«, sagte Großmutter Saba. »Zwei Dinge sollte man im Leben lernen: Man darf sich weder vor den Stärkeren noch hinter den Dümmeren stellen, denn beide denken nicht weiter nach und treten dir ins Gesicht.«
Für die Tante waren die Folgen nicht besonders schlimm. Vielleicht, weil in jenem Augenblick die Freundschaft mit den chinesischen Brüdern ihrem Ende entgegenging. Diesmal gab es kein kollektives Wehgeschrei wie bei den Sowjets, diesmal fehlte nicht viel, und die Leute hätten auf der Straße gefeiert.
Später ging Tante Eugenia nach Kuba, wo sie ganze zehn Jahre lang blieb. Ihr Mann musste für die dortige Botschaft Geheimschriften entschlüsseln. Ich erinnere mich an den Tag ihrer Abreise. Alle waren am Flughafen Rinas, um sie zu verabschieden. Ich hatte bereits die Liste mit den Geschenken im Kopf, um die ich sie bitten wollte. Ich wusste nicht, dass sich Kuba damals, was Luxusgüter betraf, in derselben Situation befand wie wir.
Für mich war der Gedanke, Verwandte zu haben, die »außerhalb der Landesgrenzen« lebten, jedenfalls von großer Bedeutung. Es klang so schön: »außerhalb der Landesgrenzen«. Meine Tante lebte außerhalb der Landesgrenzen, und ich konnte bedruckte Plastiktüten bekommen, auf denen vielleicht »Frischfleisch« oder »nur für Abfälle« stand, aber wir nahmen es damit nicht so genau. Ganz zu schweigen von den amerikanischen Kaugummis. Oder den Lux-Seifen. In jenen Jahren bekam ich von der Tante Pakete mit echt chinesischen Baumwollstoffen, echt chinesischen Plastikarmbanduhren und Kaugummis, die allerdings aus Amerika kamen.
Das einzige Zeichen aus Kuba bei uns zu Hause war eine Flasche mit der Aufschrift »Havanna Club«, die zwanzig Jahre lang auf der Anrichte im Wohnzimmer stand. Als sie leer war,
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