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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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allen. Sie hat ein paar Jahre im Ausland gelebt und ist ganz verändert zurückgekehrt. Sie wirkt wie eine Ausländerin. Sie küsst uns nicht mehr, wir plaudern nicht mehr wie früher, mit anderen Worten, wir sind uns fremd geworden«, sagte Großmutter Saba, wobei sie jedes einzelne Wort betonte.
    Endlich begriff die Zauberin.
    »Besser so«, sagte sie. »Solange sie keine Probleme mit ihrem Mann hat, wird sich der Rest schon richten. Hast du einen Gegenstand von ihr mitgebracht?«
    »Natürlich«, Großmutter hatte schon darauf gewartet. Sie zog Tante Eugenias Nachthemd hervor.
    Die Zauberin betrachtete es fünf Minuten lang, als seien auf diesem Stück chinesischer Baumwolle die Spuren des erlittenen Zaubers verblieben.
    »Es ist schlimm«, sagte sie schließlich, wobei sie Großmutter Saba ansah. »Es ist wirklich ein schlimmer Zauber, den sie ihr zugefügt haben. Es ist schwarze Magie.«
    »Heißt das, es waren Schwarze, die sie verhext haben?«, fragte Großmutter. »Ja, ja«, fuhr sie gleich darauf fort, »ich erinnere mich, dass auf den Fotos, die sie uns aus Havanna schickte, immer auch ein schwarzer Freund zu sehen war. Oh, meine arme Tochter …«
    »Nein«, unterbrach sie die Zauberin, »ich weiß nicht, ob es Schwarze oder Weiße waren, es ist die Magie, die schwarz ist. Ich kann erkennen, wie die Dinge gelaufen sind. Deine Tochter hat das Wasser der Toten berührt, das Wasser, das sie zum Waschen irgendeines Leichnams verwendet haben. Sie haben es dort ausgeschüttet, wo deine Tochter gerade entlanglief. Und sie, die davon nichts wusste, ist leider hineingetreten. ›Mögen deine stärksten Gefühle erkalten wie dieses Wasser, das Leben und Tod voneinander trennt‹, sprachen sie, bevor sie es ausschütteten«, schloss die Zauberin.
    »Dann benutzen sie also dieselbe Magie wie wir«, stellte Großmutter erstaunt fest. Sie hatte durch andere Frauen von diesem gegen unliebsame Leute angewandten Ritual gehört.
    »Wusstest du das nicht? Natürlich ist es dieselbe. Die Magier stehen untereinander in Kontakt, was dachtest du denn?«
    Die Zauberin legte die Handflächen auf das Nachthemd und schloss die Augen. Sie murmelte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Dann öffnete sie die Augen wieder und verdrehte sie, es schien, als würden sie ihr aus den Höhlen springen. Plötzlich spuckte sie auf das Nachthemd der Tante.
    »Wie eklig«, entfuhr es mir mit leiser Stimme.
    Aber sie hörte es, sie war schließlich Zauberin.
    »Raus, raus mit dir«, schrie sie, dann drehte sie sich zu Großmutter um:
    »Das ist kein Ort für ungezogene Mädchen.«
    Ich ging hinaus. Unter den Bäumen im Hof warteten viele Leute. Ich war wütend auf mich selbst: Den schönsten Teil ließ ich mir entgehen, das echte magische Ritual, das sie zur Rettung der Tante vor Großmutters Augen vollziehen würde.
    Die Leute redeten über dies und das. Eine Frau war gekommen, weil ihr achtjähriger Sohn jede Nacht ins Bett machte. Die Zauberin, sagte sie, würde den Wasserhahn des Jungen im Nu zudrehen. Eine andere Frau hatte eine unverheiratete Tochter. Trotz ihrer geschlagenen siebenundzwanzig Jahre hatte immer noch niemand an die Tür geklopft und um ihre Hand angehalten.
    Zwei etwa zwanzigjährige Männer saßen ein wenig abseits.
    »Und ihr beide?«, fragte eine alte Frau. Der eine antwortete nicht, der andere murmelte, dass sie ein paar Probleme hätten.
    »Das war mir schon klar«, erwiderte die Alte, »sonst wärt ihr schließlich nicht hier, aber was für Probleme sind es?«
    Der junge Mann trat auf sie zu, deutete auf seinen Freund und raunte:
    »Er hat Verwandte in Amerika, die 1950 geflohen sind. Wir wollen zu ihnen, aber wir wissen nicht wie. Man hat uns gesagt, dass diese Zauberin ziemlich auf Trab ist.«
    Die Alte dachte einen Augenblick lang nach und antwortete dann mit ebenfalls leiser Stimme:
    »Tut es euch denn gar nicht leid um eure Eltern? Um eure Mütter? Warum wollt ihr so weit fortgehen? Damit die Raben euch die Augen auspicken?« Sie spielte damit auf die Verse eines alten Liedes an, das von Leuten handelte, die nach Amerika auswanderten.
    Ihr war es ziemlich gleichgültig, dass es sich um ein imperialistisches Land handelte und dass die Leute dort auf der Straße starben. Ihre größere Sorge galt den Müttern dieser jungen Männer, sie dachte als Mutter.
    »Habt ihr denn schon Pässe?«
    »Ja, ja«, antwortete der junge Mann und zog zwei kleine Ausweise hervor, auf denen tatsächlich »Pass« stand. Ich wusste, dass

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