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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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füllte Papa sie mit Grappa und stellte sie für alle gut sichtbar auf. Die mit albanischem Grappa gefüllte Havanna-Club-Flasche in unserem Wohnzimmer war ein Beweis sozialer Stellung: Wir hatten Verwandte im Ausland, wir waren Leute, die etwas zählten.
    Tante Eugenia kam vollkommen verändert aus Havanna zurück. Ihre Tochter Maya, die nicht in Albanien zur Welt gekommen war, wirkte ganz anders als die anderen Kinder. Auch ihr Mann war etwas seltsam. Anfangs sagte die Tante immer Buenos días und Gracias. Sie machte es nicht absichtlich, zehn Jahre sind für jeden zu viel. Aber das Merkwürdigste war, dass die Tante uns nicht mehr küsste. Sie war kühl geworden, wie die Ausländer. Sie reichte dir die Hand, trat auf dich zu und küsste in die Luft. Sie presste ihre Lippen nicht schmatzend und Saugnäpfen gleich auf deine Wangen, wie es die echten albanischen Tanten machen.
    Am Tag ihrer Rückkehr teilte sie uns nicht einmal ihre genaue Ankunftszeit mit. Niemand wartete am Flughafen auf sie. Bei uns kam sie nur mit einer einzigen Tasche in der Hand vorbei. Sie begrüßte ihre Mutter und ihren einzigen Bruder mit nichts weiter als ein paar »Mitbringseln«, wie sie es nannte. Großmutter nahm den schwarzen Schal (auch er chinesisch) und packte ihn ganz unten in ihre Holztruhe. Eine Truhe, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, ein Traum für mich. Darin befand sich alles Mögliche: nach Mottenkugeln riechende Kleider, kleine Seifen, Llokum, Kaffee, Zucker, Bonbons, Quitten, goldene Ketten und Ringe, und nun auch der chinesisch-kubanische Schal, den die Tante mitgebracht hatte. Ich habe nie gesehen, dass meine Großmutter ihn getragen hat.
    Großmutter Saba war ziemlich besorgt wegen Tante Eugenias merkwürdigem Verhalten, sie erkannte sie kaum wieder. Ihrer Meinung nach war die Tante in jenem fernen Land Opfer von Zauberei geworden. Man musste die Sache in Ordnung bringen. Großmutter Saba begann also, die Zauberinnen der Umgebung aufzusuchen, und ich kam mit ihr. Wir sollten ein Kleidungsstück mitbringen, das die Tante mindestens eine Nacht lang getragen hatte. Während eines Besuchs hatte Großmutter ihr ein Nachthemd entwendet.
    Die erste Zauberin war eine Magjyp aus Vlora, die in einem entlegenen Viertel lebte. Es war ein heißer Julinachmittag. Mama wollte wissen, wo wir hingehen, aber wir verrieten nichts.
    »Wo sollen wir schon hingehen, meine liebe Schwiegertochter. Meinst du, eine alte Frau wie ich ist noch zu irgendetwas zu gebrauchen? Wir drehen eine kleine Runde, sonst nichts. Ich will ein bisschen Luft schnappen, selbst Gefängnisinsassen haben ein Recht dazu, oder?«
    Großmutters Spezialität: Eine einfache Frage löste eine Lawine an Klagen in ihr aus, die einfach jedem den Mund stopfte.
    Die Zauberin hatte ein großes Haus. Eine Hälfte war bewohnt, die andere war noch Baustelle.
    »Wir vergrößern uns ein wenig«, erklärte sie. »Die Kinder wachsen heran und heiraten ihrerseits.«
    Bei der Kundenschlange, die ich sah, konntest du schon den Wunsch verspüren, dich zu vergrößern. Es hätte durchaus eine Kirche dabei herauskommen können.
    »Welche Sorge treibt euch zu mir«, fragte sie ohne lange Umschweife.
    »Meine Gute«, begann Großmutter, »ich habe sechs Kinder.«
    »Möge ihnen ein langes Leben beschieden sein«, antwortete die Zauberin rasch.
    Großmutter Saba seufzte tief und fuhr fort:
    »Ich hatte geglaubt, dass ich, sobald sie alle verheiratet sind, zur Ruhe kommen würde, aber wie es scheint, wird das erst der Fall sein, wenn ich die Augen für immer schließe. Meine älteste Tochter«, hier senkte Großmutter die Stimme, »ist verhext worden, sie ist auf einmal ganz kühl, so kühl wie das Meer im Winter.«
    Die Zauberin riss die Augen auf, sie schien ernsthaft besorgt zu sein.
    »Ist deine Tochter noch recht bei Trost? Weiß sie nicht, dass der Mann noch während er die Frau zu Grabe trägt im Leichenzug Umschau hält, ob eine dabei ist, die ihm gefallen könnte? Nicht umsonst heißt es: Mann und Frau, zwei Schlangen auf demselben Lager. Was bindet dich an deinen Mann, wenn nicht das Bett?«
    Die Zauberin redete wie ein Wasserfall, Großmutter kam kaum zu Wort.
    »Aber nein, aber nein, das ist nicht der Punkt. Was weiß denn ich, wie diese Dinge mit ihrem Ehemann laufen«, rief Großmutter verdrossen.
    Allmählich verlor sie das Vertrauen in diese Zauberin. Keinen roten Heller war sie wert … Sprach man etwa so mit einer alten Frau?
    »Sie ist zu mir kühl, zur Familie, zu

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