Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Gesellschaft kam die ewige Ruhe nicht einmal mit dem Tod.
Kaltra war ein Sonderfall, es durfte einen Heldenfriedhof ganz für sich allein haben. In dem von der Partei erlassenen Schreiben wurde festgesetzt, dass für jede Provinzhauptstadt ein Soldatenfriedhof zu errichten sei. Kaltra war jedoch nur ein winziges Dorf mitten in den Bergen. Aber wegen der großen Zahl an Helden hatte es neben Peza, einem anderen Dorf in Mittelalbanien, dieses Privileg erhalten. Es war der einzige Trost für Großmutter Saba: Wenigstens durften die Brüder in ihrer Heimaterde ruhen.
Das war der Grund, weshalb sie seit Jahren nicht mehr an dem Fest teilnahm. Sie wollte allein ihre Toten beklagen. Aber sie bereitete immer noch die Süßigkeiten zu, die sie »für die Geister« ihrer Verstorbenen im ganzen Viertel verteilte. Am fünften Mai machte sie immer Revania, jene Süßigkeit, die ich für den Rest meines Lebens mit dem Tod in Verbindung bringen werde.
Zwölf
Ich habe meine Kindheit zwischen den Frauen meiner Familie verbracht: Großmutter Saba, meine Mutter und all die Tanten, die kamen und gingen. Die Hände voller Süßigkeiten: Gurabie, Kadaif, Llokum, an den Festtagen Bakllava und an den Trauertagen Revania. Tage, die man damit zubrachte, türkischen Mokka zu schlürfen und über alles Mögliche zu plaudern, vor allem über Männer.
Es kam vor, dass mein Vater am Nachmittag nicht aus dem Haus ging, weil er zu viele Arbeiten korrigieren musste oder weil er ganz einfach keine Lust hatte.
»Ich hab’s im Gespür, dass er heute hierbleibt«, hörte ich Mama mit leiser Stimme zu Großmutter Saba sagen.
Ihre Pläne waren durchkreuzt. Die Tanten und Nachbarinnen kamen auf einen Kaffee vorbei, aber sie sprachen nur ein paar belanglose Worte und eilten enttäuscht wieder fort.
»Ein wahrer Mann hat seinen Platz unter Männern«, sagte Großmutter. »Was will er bei all den Frauen? Er macht sich lächerlich, das ist es, was passiert. Ich sage es zu seinem Besten, aber er begreift einfach nicht. Er hat keine Ahnung, wie sehr ein paar Frauen einen Mann verschaukeln können, zu was sie fähig sind.«
Diese Treffen waren jedoch nicht immer heiter und fröhlich. Wenn es ein Problem in der Familie gab, war die Stimmung angespannt, elektrisiert, und jede wollte etwas dazu sagen. So zum Beispiel, als es Adelina nicht schaffte, Köchin zu werden, oder als es um die »schwarze« Liebe von Onkel Myrtos Tochter Leyla ging. Oder zu anderen Gelegenheiten, bei denen ich, rein altersbedingt, nicht dabei war, an die ich mich aber genauestens erinnern kann. Geschichten, die ich Hunderte von Malen gehört habe, die schließlich meine Geschichten, meine Geschichte wurden.
Als die Chinesen kamen, war ich noch nicht geboren. Aber an das, was Tante Eugenia wegen der chinesischen Hühnerställe passiert ist, kann ich mich noch so gut erinnern, dass ich oft durcheinanderkomme: War ich dabei, oder war ich nicht dabei?
Es waren nur Männer ins Land gekommen. Sie waren immer in Gruppen unterwegs und ließen ihre Hemden aus den Hosen hängen. Ich kann mich an dieses Detail erinnern, weil man in den folgenden Jahren, sobald einer das Hemd nicht in der Hose trug, gleich von den Eltern oder Großeltern zu hören bekam: »He, wieso trägst du das Hemd wie die Chinesen? Steck’s rein.«
In der gesamten Metallbranche kam es sofort zu Auseinandersetzungen wegen dieser spezialisierten Facharbeiter aus China. Ich habe oft gedacht, dass das mangelnde Vertrauen zwischen Albanern und Chinesen der Geschichte mit den Russen zu verdanken ist. Wir sind ein Volk der großen Leidenschaften: Durch die Vergangenheit waren wir gebrannte Kinder, und so beschlossen wir, uns emotional auf nichts mehr einzulassen.
Die Chinesen wollten ihre Köche in den Gemeinschaftskantinen unterbringen. Aber in den Küchen war der Teufel los. Die kulinarischen Unterschiede waren enorm. Es ist zwecklos, sagten die albanischen Köche, wir sind unseren kommunistischen Brüder aus China sehr verbunden, aber ein albanischer Koch kann unmöglich mit einem chinesischen Koch in einer Küche zusammenarbeiten. Sie legten dem Vorgesetzten die weiße Schürze und die Haube auf den Tisch und baten darum, als Arbeiter beschäftigt zu werden. Während des Kriegs der Köche fühlten sich die chinesischen Köche ernstlich verletzt und legten mehrfach Beschwerde ein. Die Chinesen waren auch in diesem Punkt anders als die Russen: Sie liebten Beschwerdeschreiben.
Papa sagte immer, die Chinesen seien
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