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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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Saba hüllte sich in Schweigen … Ich gab es schließlich auf, das Ganze verstehen zu wollen und pflichtete meinem Vater bei. Ob tödlich oder nicht, wichtig war, dass wir uns die Krankheiten vom Leib hielten.
    Onkel Myrto war an jenem Tag so blass wie eine Zitrone, die man bei der Ernte am Baum vergessen hatte. Von wegen rotwangiger Apfel, dachte ich, es wird das letzte Mal sein, dass er seine Schwester besuchen kommt, der Ärmste. Zusammen mit Großmutter schloss er sich in ihrem Zimmer ein. Mama klopfte nur an, um zu fragen, ob sie einen Kaffee wünschten. Sie antworteten nicht einmal.
    Als Onkel Myrto gegangen war, sprach Großmutter kein Wort. Sie öffnete ihre Truhe und zog vollkommen unnützes Zeug hervor. Wollknäuel, alte Stoffreste und vieles mehr. Dann bereitete sie sich ihren gewohnten schwarzen Kaffee zu, um sich, wie sie sagte, noch mehr zu vergiften.
    Mama schwieg, sie wusste, dass Großmutter sie früher oder später rufen würde, um ihr alles zu erzählen.
    Papa glaubte schon, Großmutter würde wieder mal mit ihren Toten loslegen, damit, welches Glück sie hatten, so früh zu sterben und das Durcheinander dieser Welt nicht mehr mit ansehen zu müssen.
    Stattdessen setzte sie sich aufs Bett und begann zu jammern, zu fluchen und zu schimpfen. Eine Flut von Worten, die kein Mensch begriff.
    »Sie ist ein Kind«, hörte ich sie sagen, »was weiß sie schon vom Leben? Aber Liebe ist eben Liebe, welche Rolle spielt es da schon, ob schwarz oder weiß? Sind die Schwarzen nicht ebenso Kinder Gottes wie wir?« Ich hätte gern gewusst, welchen Gott sie eigentlich meinte, aber es war nicht der richtige Augenblick, danach zu fragen.
    Großmutter redete und jammerte, jammerte und redete.
    »Ach«, fiel es Mama irgendwann ein, »jetzt weiß ich, was sie hat. Wie dumm, dass ich nicht schon vorher darauf gekommen bin. Es ist die Fernsehserie, die wir seit ein paar Monaten schauen, sie heißt Die Sklavin Isaura . Sie weint wegen Isaura, die eine weiße Sklavin ist, nein, sie ist gar nicht weiß, eher schwarz, aber sie sieht aus wie eine Weiße. Ihr weißer Herr verliebt sich in sie, aber da Isaura im Grunde eine Schwarze ist, weil sie nämlich aus der Verbindung ihrer schwarzen Mutter mit deren weißem Herren hervorgegangen ist …« Meine Mutter fand kein Ende mehr.
    »Es reicht!«, schrie mein Vater. »Ja sind denn die Frauen dieser Familie alle verrückt? Zu viel Fernsehen tut nicht gut. Von heute an entscheide ich, was geschaut wird und was nicht.«
    Es gab nur einen Sender, den staatlichen, die Sendezeit begann abends um sechs. Ich konnte mir schon denken, worauf das Ganze hinauslief: Er würde uns jeden Abend den Fernseher ausschalten.
    »Und was soll ich stattdessen machen, wenn ich etwas nicht sehen darf?«, fragte ich mit leiser Stimme.
    »Radio hören oder lesen, so wie ich«, antwortete er. »Dann drehst du wenigstens nicht so durch wie diese beiden.«
    Papa verließ die Wohnung. Mama war ernsthaft besorgt um die Zukunft ihrer Lieblingsfernsehserie. Großmutter hatte nichts von alldem mitbekommen. Wie auch? Von wegen Isaura – sie war mit ihren Gedanken ganz woanders.
    Weinend und einen schwarzen Kaffee nach dem anderen schlürfend, erzählte sie alles Mama.
    Leyla, die jüngste Tochter ihres Bruders Myrto, studierte an der Universität von Tirana. Ihre Kommilitonen kamen aus ganz Albanien und nicht nur von dort. Abgesehen von den Russen und Chinesen, an die sich kaum noch jemand erinnerte, unterhielt Albanien partnerschaftliche Beziehungen zu einigen afrikanischen Staaten. Kurz und gut, Leyla hatte zwei Studienkollegen, die aus dem Sudan beziehungsweise aus dem Kongo stammten. Mit einem von ihnen hatte sie Freundschaft geschlossen. Er hieß Sadeq. Sie bereiteten sich gemeinsam auf die Prüfungen vor, in der Mensa saßen sie nebeneinander, und oft schlenderten sie zusammen durch die Straßen von Tirana.
    »Er hat Heimweh«, erklärte Leyla ihrem Vater die wenigen Male, die er sie in der Stadt besuchen kam.
    Onkel Myrto war immer ein bisschen zerstreut, und die Tatsache, dass Sadeq ein Mann und noch dazu ein Schwarzer war, kümmerte ihn wenig.
    Der junge Mann verbrachte den gesamten Sommer in der Hauptstadt. Sein Stipendium sah keine Sommerferien daheim vor. Für ihn gab es nur zwei Reisen: die Hinreise und fünf Jahre später die Rückreise.
    Leyla hatte ihn einmal nach Kaltra eingeladen. Onkel Myrto freute sich und nahm ihn mit auf die Felder. Sadeq war richtig glücklich in Kaltra. Zusammen mit Leyla

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