Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
wird mit ihm gehen.«
»Die offizielle Sprache ist Arabisch«, korrigierte ihn der Funktionär mit ruhiger Stimme.
»Was macht das für einen Unterschied? Leyla wird alle Sprachen dieser Welt lernen, wenn sie ihm dafür folgen kann«, beharrte Onkel Myrto.
»Das ist vollkommen verrückt«, entgegnete man ihm. »Du weißt, dass albanische Staatsbürger nicht ins Ausland ziehen können. Wozu, glaubst du, haben wir die beste Gesellschaft der Welt gegründet? Um unsere Kinder fortzuschicken? Alle beneiden uns, und was machen wir? Wir wollen in den Sudan! Für irgendeinen x-beliebigen Schwarzen, als sei nix dabei.«
Am Ende begann Onkel Myrto vor allen Anwesenden zu weinen.
»Was soll meine Tochter jetzt machen? Was soll sie bloß machen?«
»Als Allererstes soll sie sich ihren schwarzen Bastard wegmachen lassen.«
So wurde ihm geantwortet.
Onkel Myrto stand auf und schleppte sich zur Tür. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte:
»Dafür habe ich nicht gekämpft, dafür sind meine Brüder nicht gestorben, wir haben uns anderes erträumt.«
Ohne die Antwort abzuwarten, ging er hinaus. Keine Antwort hatte noch irgendeine Bedeutung.
An einem nebligen Morgen wurde Sadeq geweckt und abgeführt, ohne sich von irgendwem verabschieden zu können. Seine Zimmerkameraden berichteten, dass zwei Männer gekommen seien und gewartet hätten, bis er sich vor ihren Augen angezogen hatte.
»Reine Bürokratie«, sagten sie. »Du sollst ins Außenministerium, um deine Angelegenheiten zu regeln.«
Sadeq spürte, dass ihm Unangenehmes bevorstand. Sie ließen ihm keine Zeit, seine Sachen zu packen.
»Du wirst bald zurückkommen«, versicherte man ihm.
Er zog die Nachttischschublade auf und holte etwas hervor: ein Foto von Leyla. Das einzige Andenken, das er aus dem Bruderland, in dem man von morgens bis abends die Gleichheit der Völker predigte, in den fernen Sudan mitnahm. Ein Foto seiner weißen Geliebten.
Großmutter Saba und Onkel Myrto, die sich stundenlang im Zimmer eingeschlossen hatten, kamen am Ende zu folgendem Entschluss: Leyla sollte eine Zeitlang bei Tante Afrodita leben, die Einzige von ihnen, die kinderlos geblieben war, weil sie mit dem Schicksal gespielt und sich »all ihre Eier verdorrt hatte«, wie Großmutter Saba sagte.
So geschah es: Leyla zog zu Tante Afrodita, zu Großmutter Sabas Schwester der »französischen Art«.
Großmutter sprach gern von dieser Tante. Sie erzählte viele lustige Geschichten über sie. Es schien, als sei es Tante Afrodita gelungen, der Tragik zu entkommen, die dem Leben aller Frauen unserer Familie anhaftete. Dass es jemand geschafft hatte, ließ mich hoffen. Großmutter Saba erzählte, Tante Afrodita sei einmal mit fast kahlrasiertem Kopf nach Kaltra gekommen. Ich war sprachlos. Tante Afrodita als Punk? Die gewaltige Matrone, die in ihren Seidenkasacks und mit eleganter Steckfrisur aus der Hauptstadt zu uns zu Besuch kam? Vielleicht, so sagte ich mir, hat jede Zeit ihre eigenen Punks.
Ob Punk oder nicht, Tante Afrodita nahm Leyla auf wie eine Tochter.
Wie schaffte es Leyla, nicht verrückt zu werden? Ihre Gesichtsfarbe, ihr Blick, ihr Lächeln, ihr Körper, alles war verändert. Nachts suchten ihre Hände die von Sadeq.
»Ich werde sterben, ich spüre, dass ich bald sterben werde!«
»Du wirst nicht sterben! Auf gar keinen Fall!«, antwortete Tante Afrodita aus dem Bett, das sie neben ihres gestellt hatte. »Niemand stirbt an der Liebe. Heute ist es der Schmerz, morgen die Erinnerung.«
Merkwürdigerweise hatte man Leyla, obwohl sie einen schwarzen Bastard in sich trug, nicht von der Universität verwiesen.
»Mein Kind«, sagte Tante Afrodita, »du wirst dein Studium beenden, du wirst eine sichere Stelle als Ingenieurin finden und dein Kind großziehen. Willst du vielleicht nach Kaltra zurück und dich zur Sklavin deiner Schwägerinnen machen lassen?«
Eines Tages, als die Tante einkaufen gegangen war, verschwand Leyla, ohne jemandem Bescheid zu sagen.
»Wir sollten die Polizei einschalten«, meinte Afroditas Mann besorgt.
»Eine großartige Idee«, antwortete sie, »so bringen wir sie garantiert in die Irrenanstalt.«
»Was sollen wir sonst tun?«, fragte er. »Einfach so warten?«
»Genau das«, erwiderte sie, »wir warten, bis sie zurückkommt.«
Sie behielt recht: Ein paar Stunden später kam Leyla zurück, im Nachthemd. Tante Afrodita stellte keine Fragen.
Leyla verließ monatelang nicht das Haus. Eines Morgens stand sie auf,
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