Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
erntete er das saure Obst, dann badeten sie gemeinsam im Fluss. Er begleitete sie zum Brunnen und half ihr, den Ofen anzuwerfen. Wenn die Bewohner von Kaltra nicht gewesen wären, die wie versteinert stehen blieben, sobald sie ihm im Dorf begegneten, hätte dieser Aufenthalt den Beigeschmack einer echten Heimkehr gehabt. Die Dorfbewohner kannten Leute aus allen möglichen Ländern: Türken, Griechen, Franzosen, Österreicher, Deutsche und Italiener waren hergekommen, aber nie zuvor hatten sie einen derart schwarzen Menschen hier gesehen. Sie waren ernsthaft und aufrichtig erstaunt.
Eines Tages, als Sadeq vor der Backstube des Dorfes auf Leyla wartete, trat ein kleiner Junge auf ihn zu. Sein Händchen griff nach Sadeqs großer Hand. Dann zog er es zurück, um nachzusehen, ob es schwarz geworden war. Aber Sadeqs schwarze Farbe hinterließ keine derartigen Spuren, andere, unauslöschliche Spuren sollte er später hinterlassen.
»Siehst du«, sagte Sadeq zu dem Kind, »es ist anders als das Schwarze, das die Flammen auf den Töpfen hinterlassen, wenn Mama dir dein Breichen kocht. Ich bin immer schwarz.«
Alles in einwandfreiem Albanisch. Als der Junge seine eigene Sprache aus dem Mund eines solchen Mannes hörte, erschrak er und rannte davon.
Ich weiß nicht, ob die Leidenschaft zwischen Leyla und Sadeq erst in Kaltra erwachte oder ob sie schon vorher existierte und Kaltra nur der Auslöser war. Jedenfalls sollte sich nach der Rückkehr der beiden in die Hauptsstadt alles verändern.
Es war nicht einfach, die Nächte gemeinsam zu verbringen, denn der Zutritt zu den Schlafräumen der Frauen war Männern untersagt, aber sie trafen sich im Park am See. Sie bereiteten sich ein Lager im Gras und kuschelten sich an den kühlen Abenden eng aneinander. Es dauerte nicht lange, bis sich die Folgen dieser romantischen Treffen zeigten. In Form der üblichen Beschwerden: Schwindel am Morgen, Übelkeit beim Geruch der Bohnensuppe in der Mensa und jenes merkwürdige Müdigkeitsgefühl, das dich ständig dazu zwingt, ein Schläfchen einzulegen.
Leyla war schwanger, der schwarze Samen ihres geliebten Sadeq hatte in ihr zu keimen begonnen. Die Farbe des Samen spielt keine große Rolle. Ist der Körper der Frau nicht wie die Erde? Die Erde, sagte Großmutter Saba, nimmt alle Samen auf, egal welche Farbe sie haben.
Die beiden Verliebten waren so glücklich und begeistert über diese großartige Entdeckung, wie es nur Zwanzigjährige sein können.
»Stell dir vor«, sagte sie, »wir werden ein Milchkaffeebaby, eine Schokoladenpraline bekommen, weder weiß noch schwarz …«
Aber zuvor waren noch ein paar praktische Angelegenheiten zu regeln. Das Kind konnte schließlich nicht in einem Studentenwohnheim zur Welt kommen. Es brauchte so etwas wie ein Zuhause, etwas, wo Mama und Papa zusammenlebten. Um eine gemeinsame Wohnung zu bekommen, mussten die beiden jedoch verheiratet sein.
Bloße Formalitäten, dachte Leyla, und genauso dachte Onkel Myrto, der sich im Grunde sehr für die beiden freute. Sadeq gefiel ihm, er hatte etwas, das ihn an die Menschen aus anderen Zeiten erinnerte, vielleicht weil er so wortkarg war.
So begann der Spießrutenlauf durch die Ämter, um die nötigen Unterlagen und die Genehmigung für die Eheschließung zu bekommen.
»Deine Tochter will einen Schwarzen heiraten?«, wurde Onkel Myrto im Außenministerium ungläubig gefragt.
Als die Behörden erfuhren, dass Leyla sogar ein Kind von einem Schwarzen erwartete, wurde die ganze Sache noch schwieriger. Onkel Myrto war nun der »Vater-von-der-die-sich-von-einem-Schwarzen-ein-Kind-hatte-machen-lassen«.
Sie bekamen keine Genehmigung. Im Außenministerium hieß es, die Eheschließung sei nicht möglich. Der Sudan schickte seine jungen Leute ins Ausland, um den Aufbau im eigenen Land voranzutreiben, Ingenieur Sadeq wurde gebraucht.
Ich stellte mir die Sudanesen vor, die wütend schrien: »Diese gerissenen Albaner wollen uns der Zukunft unseres Landes berauben! Unsere Intelligenz droht nach Albanien zu fliehen! Alarm, Flucht der Hirne vom Sudan nach Albanien.«
Onkel Myrto ließ sich nicht entmutigen.
»Also gut«, sagte er mit blitzenden Augen zu dem im Ministerium zuständigen Funktionär, »Sadeq kann nicht bleiben. Dann wird eben Leyla in den Sudan gehen. Ist es normalerweise nicht ohnehin so, dass die Frauen ihren Männern folgen? Sie wird ihm folgen! Sie wird Yoruba oder Nuer-Dinka lernen oder welche Sprache auch immer sie in seinem Stamm sprechen. Sie
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