Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Nach der Entbindung wurden die Kinder dem Staat anvertraut und die Mütter irgendwo interniert. Sie mussten auf den Feldern arbeiten, für irgendeine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, inmitten von Bauern, die, je nach Gelegenheit, versuchen würden, sie umzuerziehen oder sie zu vögeln. Mit dreißig waren sie bereits alte Frauen. Wenn es gut lief, heirateten sie einen Witwer und ließen sich von ihm als Kurva beschimpfen. Das neugeborene Kind wurde zur Adoption freigegeben, sie hörten nie wieder etwas von ihm.
Die Mädchen waren süß – auch fröhlich. Sie ahnten nicht, was auf sie zukam. Oder vielleicht doch, aber sie wollten es nicht wahrhaben. Sie strahlten jene Anmut aus, die allen schwangeren Frauen eigen ist.
Mein Vater hätte mich umgebracht, wenn ihm zu Ohren gekommen wäre, dass ich mit ihnen sprach. Mama ebenfalls. Immer wenn ich etwas tat, was ihnen missfiel, sagten sie zu mir: »Pass auf, dass du nicht dasselbe Ende nimmst wie Tante Esma.«
Einem alten Aberglauben zufolge wird die Kurvëria in weiblicher Linie über sieben Generationen weitervererbt: Mit mir war erst die dritte erreicht.
Großmutter Saba gefiel es überhaupt nicht, wenn sie auf Tante Esma anspielten. Oft hörte ich sie mit leiser Stimme murmeln: »Armselige Schwätzer, was wissen sie von meiner Schwester.« »Von ihr gar nichts«, konterte Mama bisweilen, um sie zu verletzen. »Wir wissen nur, was man über sie erzählt.«
Mama war sehr stolz, dass in ihrer Familie keine Frau in Angelegenheiten der Kurvëria verwickelt war. Großmutter erwiderte nichts auf ihre Bemerkungen. Aber ihre Augen nahmen einen undefinierbaren Ausdruck an, der weder Trauer noch Bedauern verriet. Er war umso beunruhigender, als es unmöglich war, ihn zu beschreiben. Ein Ausdruck, so flüchtig wie ein Schmetterling, der in der Luft starb, noch bevor Großmutter zum nächsten Atemzug ansetzte.
Großmutter Saba deckte mich immer. Obwohl sie genau wusste, dass ich zu Blerta gegangen war, tischte sie meinen Eltern, sobald sie nach mir fragten, den Namen einer anderen Freundin auf. Wenn es herauskam, ließ sie eine ihrer üblichen Litaneien los: »Siehst du, mein Sohn, siehst du, wie schlecht es um mich steht? Nicht einmal die Namen, die sie mir sagen, kann ich mir merken? Glaubst du mir jetzt endlich?« Um sich ihr Gejammer nicht länger anhören zu müssen, beendeten meine Eltern schließlich die Diskussion. Mit ihr, aber nicht mit mir. Für mich endete das Ganze oft schmerzhaft.
Blertas Mutter war ganz anders. Sie ließ ihre Töchter mit diesen Mädchen allein zu Hause. Sie sagte nur, dass die Liebe bisweilen in die Irre führen kann.
»Ist Shana vollkommen verrückt?«, rief meine Mutter. »Sie werden Blerta und Juli ›Tod und Teufel‹ beibringen.«
»Meine liebe Schwiegertochter«, entgegnete Großmutter Saba, »was haben diese Mädchen denn im Vergleich zu mir, zu dir, zu meinen Töchtern und allen anderen Frauen dieser Welt so Fürchterliches getan? Ein Kind bleibt immer ein Kind …«
Mama sah Großmutter entsetzt an. Solche Worte konnten mich ins Verderben stürzen.
Merkwürdig war nur, dass diese Mädchen nie den Teufel ins Spiel brachten, wie Mama behauptet hatte. Sie erzählten nur, wie sehr ihnen die Mutter fehlte. Sie sprachen von dem kleinen Bruder, der nachts nicht mehr kam, um sie aus Angst vor einer Eule oder dem Wolf zu wecken. Sie sprachen von den Schulkameradinnen, von den Klassenarbeiten und davon, wie sie die Mathematiklehrerin an der Nase herumgeführt hatten, indem sie die richtigen Lösungen herumreichten. Sie erinnerten sich, und oft weinten sie.
Eines Tages hatte eine von ihnen einen Blasensprung, während Blertas Mutter außer Haus war. Blerta begleitete sie in die Klinik. Das Mädchen jammerte und klagte.
»Schnell«, schrie Blerta den Kolleginnen ihrer Mutter zu. »Hena geht es schlecht.«
Die zuständige Hebamme war eine Hexe. Sie hatte ein kantiges Gesicht und sah aus wie ein Schrank. Ein Affenweib: Unter den durchsichtigen Strümpfen wuchsen lange schwarze Haare. Für gewisse ästhetische Belanglosigkeiten hatte sie keine Zeit, ihr kam die Aufgabe der Ehrenwächterin zu. So auch bei diesen Mädchen, denen das Lachen noch nicht vergangen war, weil sie offenbar nicht ganz begriffen, was sie angestellt hatten. Sie war hier, um es ihnen tagtäglich unter die Nase zu reiben.
»Hena geht es nicht schlecht, sie bringt nur gerade ihren Bastard zur Welt«, sagte die Hebamme.
Hena litt im Stillen. Sie ballte ihre
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