Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
von Hoxha (der übrigens die Angewohnheit hatte, häufig seine rechte Hand zu wechseln) die Saison eröffnen sollte. Er würde genau in die Gegend kommen, in der sich Onkel Timo befand.
Man hatte ihn zu einem dringenden Gespräch gebeten.
»Die Regierung kommt zur Jagd her«, teilte man ihm mit. »Wir vertrauen dir einen Spezialauftrag an.«
»Gut«, erwiderte er, »ich werde mein Bestes geben.«
Onkel Timo war für den Geheimdienst vor Ort verantwortlich und daran gewöhnt, auf jede Situation schnell und angemessen zu reagieren.
»Es handelt sich um einen ganz besonderen Auftrag«, erklärte der Parteikommissar mit etwas verlegener Stimme. »Du musst eine Gruppe von Personen aussuchen, die mit der Gegend vertraut sind. Leute mit einer sauberen Biografie, am besten Kommunisten. Mit Parteiausweis, versteht sich. Sie müssen kräftig und bei guter Gesundheit sein, sie müssen durchhalten während der Jagd.«
Der Onkel war nicht gerade ein Fachmann auf dem Gebiet der Jagd. Als kleiner Junge war er mit der Zwille losgezogen, hatte große Kiesel aus dem Fluss gesammelt und fast immer einen Vogel getroffen. Er hatte seiner Beute den Kopf abgetrennt, sie ausgenommen und auf einen Spieß gesteckt. Es waren Kriegszeiten, und zu dieser Jagd trieb ihn nicht die Leidenschaft, sondern der Hunger.
Onkel Timo begriff nicht, warum der Parteikommissar so viel Aufhebens machte. Schließlich verstand er sein Handwerk: Er würde die Leute sorgfältig auswählen und alles organisieren.
»Ach, noch etwas«, fügte der Parteikommissar hinzu, »die Stimme. Sie müssen eine kräftige Stimme haben. Sie sollen am Morgen frische Eier essen. Keine Sorge, die werden wir bereitstellen.«
»Müssen sie etwa singen?«, fragte Onkel Timo. »Was ist das für eine seltsame Geschichte? Soll ich einen Gesangswettbewerb organisieren oder Leute für die Jagd auswählen?«
»Sie sollen kläffen«, bekannte der Parteikommissar schließlich mit gesenktem Blick.
Onkel Timo begriff noch immer nicht.
»Kläffen wie die Hunde, wie echte Hunde. Sobald die Beute gesichtet ist, müssen sie sich leise heranpirschen, sich auf alle viere niederlassen, sie umzingeln und dann anfangen zu kläffen. Um das Wildschwein zu erschrecken … Es wird erauskommen, losrennen, und er kann schießen.
»Absurd«, antwortete Onkel Timo. »Können sie nicht echte Hunde nehmen?«
»Menschen lassen sich leichter lenken als Hunde. Hunde kläffen nicht auf Kommando.«
»Und ich habe die Aufgabe, Berufskläffer auszuwählen. Sag mir bitte, wie ich das machen soll. Soll ich sie der Reihe nach vorkläffen lassen? Sie einen nach dem anderen fragen: Wer kann mir das Lied vom Bauernhof vorsingen? Sehr gut, du bist befördert, du darfst für die Regierung den Hund spielen. Bist du zufällig auch Kommunist? Noch besser, das war doch sicher schon immer dein Traumberuf.«
Onkel Timo war außer sich. Er ging nach Hause und verließ drei Tage lang nicht mehr die Wohnung. Der Parteikommissar stellte ihm eine Beurlaubung aus, die der Onkel bei seiner Rückkehr auf dem Schreibtisch fand.
Die »Hunde« wählte ein anderer Kollege aus. Hoxhas rechte Hand erlegte drei Wildschweine. Er reiste hochzufrieden wieder ab. Außerdem hatte er zwei äußerst fähige Kläffer für sich entdeckt, die er auf seiner nächsten Jagd wieder einzusetzen gedachte.
Onkel Timo hatte darum gebeten, keine näheren Einzelheiten zu erfahren.
Sechzehn
Eines Tages kam Onkel Myrto, der Bruder von Großmutter Saba, zu uns nach Hause. Irgendetwas musste passiert sein, denn er ließ sich selten bei uns blicken. Über Onkel Myrto wusste ich nur, was ich von meinem Vater gehört hatte: dass er »infiziert« war und dass wir uns deshalb nicht so oft sehen konnten. Vielleicht, damit wir uns nicht auch infizierten. Schuld an allem war seine Frau Saraja, die ich nie gesehen hatte. Als kleines Mädchen fand ich es normal, dass sie uns nicht besuchen kam, schließlich war sie infiziert. Ich stellte sie mir immer bettlägerig, abgemagert und blass vor. Einmal fragte ich Mama, ob sie schon vor der Hochzeit infiziert gewesen sei.
»Ja«, erwiderte Mama, »schon vorher, die arme Frau.«
»Aber wie hat sie es geschafft, so abgezehrt und kränklich all die Kinder zur Welt zu bringen?«, wollte ich wissen.
»Wer sagt denn, dass sie abgezehrt und kränklich war? Rotwangig wie ein Apfel war sie«, widersprach Mama.
Also was nun? Papa sagte, sie habe Onkel Myrto infiziert, Mama sprach von rotwangigen Äpfeln, und Großmutter
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