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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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frühstückte und trat auf den Schrank zu, in dem die Tante ihre wenigen Kleidungsstücke verstaut hatte. Vergeblich versuchte sie, sich in eine Hose zu zwängen. Dann probierte sie es mit einem Rock. Sie kam weder von oben noch von unten hinein.
    »Es ist lächerlich«, sagte Tante Afrodita, die die Szene schweigend mitangesehen hatte. »Du bist im sechsten Monat, wie kannst du glauben, noch in deine alten Sachen zu passen?«
    »Tante«, antwortete Leyla, »ich komme zu spät in die Vorlesung. Red nicht so viel herum, sondern such mir lieber was zum Anziehen.«
    Tante Afrodita hatte seit Wochen auf diesen Augenblick gewartet. Schnell holte sie die Schwangerschaftskleider hervor, die sie für sie genäht hatte. Farbenfrohe Kleider mit Blumenmustern, Kleider, die mit einem Schlag die düsteren Monate dieses Mädchens verdrängten, das ganz allein ein Kind erwartete, noch dazu ein Kind, das aus weiter Ferne kam.
    »Was?«, rief Tante Afroditas Mann ungläubig, als Leyla das Haus verließ. »Hatte sie nicht schon abgeschlossen mit der Welt?«
    »Es liegt in der Familie«, antwortete die Tante, »unsere Frauen gehen, aber dann kommen sie zurück.«
    »Von woher?«, fragte ihr Mann erstaunt.
    Mit den Jahren war dieser Mann »der französischen Art«, um den sie in jungen Jahren alle Frauen beneidet hatten, ein wenig langsam geworden. Was für eine Frage. Von woher? Die Tante antwortete nicht, sondern ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Sie hatte noch eine Menge zu tun. Zum ersten Mal seit beinahe einem halben Jahrhundert wurde in diesem Haus ein Kind erwartet.

Siebzehn
     
    »Ein Eiltelegramm für Sie«, rief der Postbote, während er an unsere Tür klopfte.
    Der Text lautete: »Glückwünsche stopp vier Kilo schwere Enkeltochter stopp Name Kaltra stopp Afrodita«.
    »Kaltra: blau, wie schön«, rief Großmutter Saba. »Ob sie blaue Augen hat, wie alle Frauen aus unserer Familie?«
    »Nicht alle, Großmutter, nicht alle«, widersprach ich.
    »Alle außer dir«, sagte Großmutter. »Das Schlechte hast du von deiner Mutter: dunkle Augen und dunkles Haar. Aber wenigstens deine Haut ist so hell wie unsere.«
    Großmutter beschloss, das Enkelkind in Tirana zu besuchen.
    »Hast du nicht gesagt, dass du keinen Fuß mehr dorthin setzen würdest?«, fragte Mama, die die ganzen alten Geschichten von Großmutter kannte. Letztlich kannten wir alle sie.
    »Schon«, erwiderte Großmutter, »aber ich hab’s mir anders überlegt. Die Staaten, die ständig gegeneinander Krieg führen, überlegen sich’s schließlich auch immer wieder anders, wieso soll ich’s mir also nicht mal anders überlegen dürfen?«
    Großmutter Saba traf ihre Reisevorbereitungen. Die Kleidchen für das Mädchen waren entzückend. Mama half ihr beim Zuschneiden, Nähen und Besticken. Dann geschah etwas Unglaubliches: Großmutter fragte meinen Vater, ob ich mitkommen dürfe. Ein paar Tage mit ihr zusammen nach Tirana zu reisen, war ein aufregender Plan.
    Der Augenblick der Abreise kam. Wir nahmen in dem überfüllten Zug Platz. Großmutter Saba trug ihr bestes Kleid: schwarz, wie immer, aber aus einer Seiden-Kaschmir-Mischung und schon dreißig Jahre alt.
    »Schau«, sagte sie, »es ist aus der Nachkriegszeit, echte englische Ware, verstehst du? Ja, früher gab es noch gute Sachen, das waren richtige Kleider.«
    Die Leute neben uns sahen sie finster an. Wollte sie etwa politische Reden schwingen? Hatte sie nicht mitbekommen, was man sich erzählte? Ein Mann aus Vlora war im Gefängnis gelandet, weil er, während er in der Schlange stand, um Unterwäsche zu kaufen, gesagt hatte: »Scheißstaat, in dem die Politiker die Unterhosen der Bürger zählen …«
    Großmutter Saba sah ein, dass sie übertrieben hatte, aber sie ließ trotzdem nicht locker.
    »Was guckst du so?«, fuhr sie ihren Sitznachbarn an. »Willst du mich anzeigen? Was habe ich denn gesagt? Sieh dir den Stoff dieses Kleides an, und urteile selbst: Findet man so etwas heutzutage noch?«
    Der Angesprochene schwieg.
    »Man kann keinen Ton mehr von sich geben, ohne Angst haben zu müssen«, schnaubte Großmutter. »Ich habe schließlich nicht gesagt, dass ich den Kapitalismus liebe, ich habe bloß von Stoffen gesprochen. Unglaublich, wir sind ein Volk von Spitzeln geworden!«
    Unser Nachbar wechselte den Platz. Er wollte sich keinen Ärger einhandeln. Man hörte so viele Geschichten von Leuten, die festgenommen wurden, weil sie den Feind nicht angezeigt hatten.
    Nach vier Stunden erreichten wir

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