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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Kokain zu holen. Als er zum Auto zurückkam, telefonierte Slobodan Andersson.
    »Hör auf zu reden!«, schrie Manuel.
    Slobodan Andersson lächelte höhnisch, beendete aber das Gespräch. Manuel gab ihm die Tasche, Slobodan kontrollierte den Inhalt. Er reichte Manuel die Tüte mit den Geldscheinen, schlug, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, die Autotür zu und fuhr los. Manuel rannte zu seinem Wagen und fuhr schnell auf die Landstraße. Slobodan Anderssons BMW war gut zu sehen. Als Manuel den Kreisverkehr erreichte, sah er die Bremslichter aufleuchten. Die Ampel schaltete auf Rot. Manuel lachte laut. Slobodan Andersson fuhr sehr schnell auf der E 4 nach Norden, dann bog er plötzlich in Richtung Zentrum ab. Manuel fürchtete, ihn aus den Augen zu verlieren, wollte aber auch nicht zu nahe auffahren. Wieder hatte er Glück, und er konnte die Kreuzung gerade noch überqueren, ehe die Ampel auf Rot sprang.
    Der Dicke fuhr durchs Zentrum und landete schließlich am Fluss. Dort parkte er und stieg aus. Manuel musste Fußgänger passieren lassen, sah aber, wie der Wirt mit der Tasche in der Hand die Straße überquerte. Manuel nahm den nächsten freien Parkplatz.
    Slobodan Andersson verschwand in einer Gasse, und Manuel eilte ihm hinterher. Der Dicke ging anfangs sehr schnell, aber nach einer Weile wurde er langsamer. Das Tempo strengte ihn auf Dauer wohl zu sehr an.
    Nach einigen Minuten betrat er ein Restaurant. »Alhambra« stand auf dem Schild. Manuel erkannte den Namen wieder, der Portugiese hatte davon gesprochen.
    Zehn Minuten später stand Slobodan Andersson erneut auf der Straße, jetzt aber ohne Tasche.
    |311| Wie dumm darf ein
gringo
eigentlich sein?, dachte Manuel, als er den Wirt in der Menschenmenge verschwinden sah.
    Manuel atmete auf. Er merkte, wie hungrig er war. Die Anspannung bei der Kokainübergabe und die anschließende Verfolgung hatten alle anderen Bedürfnisse zurückgedrängt.
    Ein Stück weiter in der Fußgängerzone musizierten einige Lateinamerikaner. Es würde sicher noch lange dauern, bis er einen
huapango
genießen konnte. Um nicht vom Heimweh überwältigt zu werden, ließ Manuel die Musikanten stehen und ging schnell weiter.
     
    Bald war er beim »Dakar« angelangt. Dass ausgerechnet Slobodan Anderssons Restaurant sein einziger fester Bezugspunkt sein musste, konnte man nur als Ironie des Schicksals betrachten. Aber im »Dakar« arbeitete Feo, der Portugiese, und vor allem Eva, die Kellnerin, die so neugierig auf sein Land und dessen Kultur war. Sie hatte ihm zugehört und immer weiter gefragt. Wegen ihres mangelhaften Englisch musste sie oft lange Umwege in Kauf nehmen, um das auszudrücken, was sie sagen wollte.
    Seine Lüge hatte ihr nichts ausgemacht. Ihr war es einerlei, ob er aus Mexiko oder aus Venezuela kam. Deshalb war er noch mehr bereit, mit ihr zu reden. Sie gab ihm die Freiheit, der zu sein, der er sein wollte.
    Außerdem war sie die erste weiße Frau, die mit ihm wie mit einem Ebenbürtigen sprach. In den USA war er vielen
gringas
begegnet, aber die hatten in ihm den dreckigen
chicano
gesehen, den sie für unterbezahlte Arbeit ausnutzen konnten, den sie aber nie als Menschen behandelten.
    Sie ist auch schön, dachte er mit schlechtem Gewissen, denn seit Angel tot und Patricio im Gefängnis war, hatte er sich immer weniger aus Gabriella gemacht. Die Liebe und die Zukunftspläne verblassten mehr und mehr. Er war leicht zu irritieren und gleichgültig. Wie sollte er über persönliches |312| Glück reden, wenn seine Familie vor die Hunde ging? Liebte er sie? Er wusste es nicht mehr.
    Als er zum »Dakar« ging, war er niedergeschlagen und aufgekratzt zugleich. Eine seltsame Mischung. Dieses Mal klopfte er an die Hintertür. Der Koch, der wie eine Bulldogge aussah, stand in der Spülküche, rauchte und machte ihm auf.
    »Aha, du kommst heute auch«, sagte er und betrachtete Manuel mit einem Lächeln, das dieser nicht einschätzen konnte.
    »Ich muss arbeiten«, murmelte er. »Gibt’s was zu tun?«
    Unbewusst hatte er in dieser unterwürfigen Stimmlage gesprochen, die er in Kalifornien angenommen hatte.
    »Geschirr gibt es noch keines, aber es ist schon eine Weile her, seit im Umkleideraum sauber gemacht wurde.«
    Manuel rüstete sich mit Putzmittel, Putzlappen, einem Eimer und einem Mopp aus. Er beschloss, sorgfältig zu arbeiten. Nicht jemandem zu Gefallen, sondern weil er es brauchte, etwas ordentlich zu erledigen. Etwas tun, das einen Unterschied machte. Auch aus

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