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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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egoistischen Gründen musste er hinter einer Arbeit zurücktreten. Die letzten Wochen hatten ihn zutiefst erschüttert. Nie mehr würde er der Manuel Alavez von früher sein. Alles, was er in Zukunft sagen würde, enthielte auch immer eine Lüge. Nur die Arbeit war echt, war wahrhaftig, so kam es ihm vor.
    Er schrubbte, wischte den Garderobenschrank und die Bänke ab, scheuerte den Fußboden und montierte den Lampenschirm ab, um alle toten Fliegen aus der Glaskugel zu entfernen.
    Als er gerade fertig war und sich zum Ausruhen auf die Bank gesetzt hatte, kam Eva in den Umkleideraum.
    »Was für ein Unterschied!«, rief sie. »Und wie gut es riecht!«
    Manuel sprang auf. Eva zog die Jacke aus und hängte sie in ihren Schrank. Er konnte nicht anders und schaute auf ihre |313| Brust. Ihr amüsiertes Lächeln zeigte ihm, dass er ertappt war.
    »Ich kann gehen«, sagte er.
    Sie lächelte noch breiter und gab ihm einen Klaps auf die erhitzte Wange. Diese freimütige Frau verwirrte ihn mehr und mehr. Warum lachte sie? Bot sie sich an?
    »Bist du verheiratet?«
    Manuel schüttelte den Kopf. Eva nahm den schwarzen Arbeitsrock aus dem Schrank, strich ein paar Flusen weg und griff nach dem Bügel mit der weißen Bluse. Manuel zwang sich, nicht auf ihre Kleidung zu schauen.
    »Die müsste   …«, fing sie an, aber ihr fiel das richtige Wort im Englischen nicht ein, und sie machte eine Handbewegung. Er verstand, was sie meinte, die Bluse war zerknittert.
    »Bis dann«, sagte er. Er wünschte, er könnte ihr die Bluse bügeln, nur um sie anzufassen. Er wollte gern etwas für sie tun, mehr als nur den Umkleideraum schrubben. Er wollte sie mit etwas erfreuen.
    Er ging in die Spülküche. Ein Mann mit weißer Mütze brachte gerade ein paar Töpfe, Formen und Besteck herein. Er nickte Manuel zu, sagte aber nichts. Das musste Johnny sein, der vor Kurzem angefangen und von dem Feo ihm erzählt hatte. Manuel kümmerte sich um den Abwasch, er war froh, etwas zu tun zu haben.
    Eva kam in ihrer Arbeitskleidung aus dem Umkleideraum. Sie warf einen Blick in die Spülküche, strich mit der Hand über die Bluse, lachte und ging hinaus ins Restaurant.
    Hure, dachte Manuel, bereute es aber sofort. Eva war keine Hure. Sie war eine gute Frau. Dass sie geschieden war, lag nicht an ihr, davon war er überzeugt. Sie lebte für ihre Kinder und ihre Träume. Hinter ihrem Interesse an Mexiko verbarg sich Sehnsucht, der Wunsch, etwas anderes zu erleben, und wenn auch nur in Gedanken. Ob sie sich vielleicht für ihn interessierte? Gestern hatte sie sich nach dem Dorf erkundigt |314| und wie es sich dort lebte, und heute hatte sie gefragt, ob er verheiratet sei. Warum will eine Frau so etwas wissen?
    Er kratzte eine längliche Form aus, aber seine Bewegungen wurden immer langsamer, bis seine Hände schließlich auf dem Rand des Spülbeckens ruhten. Ohne etwas zu sehen, starrte er die geflieste Wand an und versuchte, sich Eva in Mexiko vorzustellen. Eine weiße Frau veränderte sich, wenn sie nach Mexiko und in sein Dorf kam, genauso wie ein Zapoteke ein anderer wurde, wenn er die Berge verließ und in die weiße Gesellschaft versetzt wurde. Sie würde dort wohl nie so mit ihm sprechen, wie sie es hier in Schweden tat? Würde sie ihr Lachen und ihre Neugier behalten, oder würde all die Armut sie erschrecken?
    Erst als Manuel von der Bar her Feos Stimme hörte, nahm er das Schrubben wieder auf.
    Der Portugiese war offenkundig von der Straße hereingekommen. Es musste also fünf Uhr sein. Vielleicht hatte Feo heute frei und war nur zu Besuch hier? Genauso wie er sich darauf gefreut hatte, Eva zu sehen, wollte er gern ein bisschen mit Feo reden.
    Der Abwasch war fertig, und alle Töpfe standen zum Abtropfen auf dem Gestell. Dann nahm er doch ein Tuch und trocknete sie ab. Niemand sollte sagen können, er erledige seine Arbeit nicht.
    Trotz des Krachs der Spülmaschine und des Klapperns der Töpfe war Feos Stimme deutlich zu hören. Manuel ging hinaus in die Küche und warf einen Blick durch die Tür ins Restaurant.
    Schließlich fasste er sich ein Herz und ging hinein. Das Restaurant war bedeutend größer, als er geglaubt hatte. Eva deckte am anderen Ende des Lokals die Tische. Sie lächelte und winkte ihm mit einer Serviette zu. Er ging weiter, an der Bar stand Feo. Er unterhielt sich mit jemandem hinter dem Tresen, den Manuel nicht sehen konnte.
    |315| Da wurde ihm plötzlich bewusst, dass er sich im »Dakar« wohlfühlte. Und wenn er nun   … Ja, er

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