Rot wie Schnee
setzte sich neben den Bruder.
»Du musst nach Hause«, sagte er.
»Wie denn?«, entgegnete Patricio nach einer ganzen Weile. Manuel erzählte ihm, wie er sich das vorgestellt hatte.
Patricio war sprachlos.
»Das schaffe ich nicht«, sagte er, als Manuel ihm seinen Plan dargelegt hatte. »Die Polizei wird mich aufgreifen.«
»Vielleicht«, sagte Manuel, »aber es ist den Versuch wert.«
»Und du?«
|356| »Ich komme zurecht«, antwortete Manuel, klang aber nicht ganz überzeugend. »Du musst nach Hause.«
»Aber das kostet Geld.«
»Das habe ich«, sagte Manuel, »ich habe viel Geld.«
Patricio fragte den Bruder nicht, woher. Vielleicht hatte ihn die Zeit im Gefängnis gelehrt, nicht neugierig zu sein.
Während die Sonne langsam höher stieg, gingen die Brüder jedes Detail durch und besprachen, was schiefgehen könnte. Manuel erstaunte Patricios Fügsamkeit. Er hatte keinerlei Einwände, wie sonst immer, sondern hörte zu und wiederholte, was Manuel sagte.
»Sollen wir baden?«, fragte Manuel.
»Im Fluss sind so viele Pflanzen«, meinte Patricio.
»Ich weiß eine gute Stelle.«
Als sie sich auszogen, machte Manuel Witze über Patricios runden Bauch. Aber der lachte nur, klopfte sich selbst auf den Bauch und sprang ins Wasser. Sie plantschten und spielten wie die Kinder, spritzten sich nass und tauchten nach dem lehmigen Grund.
Nachdem sie sich angezogen hatten, holte Manuel die Plastiktüte mit dem Geld aus dem Versteck und zeigte Patricio die Scheine. Der Bruder sagte nichts und fragte nichts. Aber Manuel fühlte sich gezwungen zu erklären, wie er zu diesem Vermögen gekommen war. Falls Patricio etwas gegen das Vorgehen des Bruders einzuwenden hatte, so erwähnte er das mit keinem Wort, sondern blätterte nur zerstreut in den Geldbündeln.
Manuel verstaute das Geld wieder. Patricio war ganz in Gedanken versunken. War er von dem Anblick des Geldes niedergeschlagen? Vielleicht erinnerten ihn die vielen Dollarnoten an Angel.
|357| Nach ein paar Stunden beschloss Manuel, in das Handwerkerzentrum zu gehen und Proviant zu besorgen. Dort gab es ein kleines Café, hatte er gesehen. Wenn sie nur ein bisschen Brot bekämen, würden sie schon zurechtkommen. Wasser konnten sie aus dem Fluss nehmen.
Sie hatten sich darauf geeinigt, so lange am Fluss zu bleiben, bis die Präsenz der Polizei etwas nachgelassen hatte. Wahrscheinlich waren zurzeit rings um Uppsala überall Straßensperren.
Wenn Eva die Polizei benachrichtigt hatte, würde man auch Manuel suchen. Aber trotz ihrer harten und unversöhnlichen Reaktion glaubte er das nicht. Diese Reaktion wog schwerer, als wenn sie zur Polizei gegangen wäre. Manuel sah ein, dass er selbst Schuld hatte. Erhattesieangelogen, und natürlich fühlte sie sich betrogen. Er wollte nicht an sie denken, aber das war schwierig. Diese Frau hatte etwas, das ihn ungeheuer anzog. War es ihre Freimütigkeit und Offenheit? Vielleicht hatten ihm ihre neugierigen Fragen nach seinem Leben geschmeichelt? Oder war es einfach so, dass ihn ihr Lächeln, die blonden Haare und ihre Brust unter der engen Bluse betört hatten?
Er hatte im Zelt geträumt, dass sie zusammen im Fluss badeten. Jetzt musste er aufhören zu träumen. Eva war eine Erinnerung.
Er kaufte im Café belegte Brote und Limonade. Er glaubte, dass sich niemand weiter um ihn kümmerte. Der Parkplatz stand voller Autos, und Touristen schlenderten zwischen den Häusern umher. Viele Familien mit Kindern waren unterwegs. Da stand auch ein Mann und malte etwas an, das nach Manuels Eindruck ein großes Spielzeug für Kinder werden sollte. Er blieb stehen und sah zu, wie der Handwerker langsam gelbe Farbe auf die breiten Holzbretter pinselte. Da wurde ihm klar, dass dies ein kleines Haus werden würde. Dass man sich so viel Mühe mit einem Spielhaus für Kinder machte, erstaunte ihn.
|358| Der Maler sah Manuel freundlich an. Manuel merkte, dass er sich ärgerte und dass der Grund dafür Eifersucht oder Neid war. Alles wirkte so harmonisch, alle waren so gut genährt und gut gekleidet. Nirgendwo versuchten Arme, Krimskrams zu verkaufen oder zu betteln. Der Handwerker wirkte so sorglos und schien so zufrieden mit seiner Arbeit zu sein. Alles war so anders als in Mexiko.
Im Dorf zu Hause spielten die Kinder mit dem, was übrig war. Wenn ihnen überhaupt Zeit zum Spielen blieb, erfanden sie sich Spielzeug. Niemand kam auf die Idee, extra für sie ein Haus zu bauen.
Manuel ging weiter, vorbei an Apfelbäumen, die sich unter
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