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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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lohnt«, wandte Manuel ein, als Patricio und Angel schon nach wenigen Monaten wieder davon anfingen, dass sie in die USA fahren wollten.
    »Aber nicht alle betrügen«, beharrte Angel.
    »Die meisten von uns bleiben Wetbacks, auf die alle herabschauen. Viele von uns werden krank. Schau dir doch deine Hände an!«
    Angel hatte Hautausschlag bekommen, große Blasen, die aufsprangen und nässten. Die Ursache dafür war das Unkrautbekämpfungsmittel, das auf den Feldern benutzt wurde, davon war Manuel überzeugt.
     
    Obwohl Manuel Widerstand leistete, hatte er an jenem schicksalhaften Vormittag nicht verhindern können, dass sich die Brüder überreden ließen, ein paar Tage später mit nach Oaxaca zu fahren. Was hätte er tun sollen? Seine Brüder niederschlagen und an den Pflug binden?
    Bhni guí’a
, »der Mann aus den Bergen«, hatte Angel und Patricio verlockt. Das war ein Begriff aus alter Zeit, den die Brüder zwar nicht anerkennen wollten, über dessen Bedeutung aber alle Zapoteken Bescheid wussten. Er kam aus den Bergen oberhalb des Dorfs, einen Stock mit Silberknauf |98| schwenkend, westlich gekleidet, mit glänzenden Schuhen. Er bot einem Geld an, nahm dafür aber die Seele.
    Diesmal hatte der Mann zwar keinen Stock dabeigehabt, aber ein großes Bündel mit grünen Dollarnoten. Er war sehr groß, fast kahl, stellte sich als Armas vor und sprach spanisch.
    Angel und Patricio hielten sich gewöhnlich im Hintergrund und überließen meist Manuel das Reden. Teils, weil er der Älteste war, teils, weil er gut Englisch sprach. Als sie in Kalifornien gewesen waren, hatte er die Verhandlungen auf den Feldern außerhalb von Anaheim besorgt. Aber dieses Mal wich Manuel sofort aus, der Mann hatte etwas, was er nicht mochte. Stattdessen trat Angel vor.
    Am nächsten Tag, das ganze Dorf feierte Santa Gertrudis, saßen die drei Brüder vor der Kirche auf einer Bank und diskutierten. Manuel wollte nichts von den Versprechungen des Mannes wissen, meinte, davon könne nichts Gutes kommen.
    »Aber das hier ist kein Job«, sagte Angel, »es geht nur darum, mit einem Päckchen nach Spanien zu fliegen.«
    »Und was ist drin in dem Päckchen? Was glaubst du?«, fragte Manuel.
    »Du hast es doch gehört, irgendwelche Papiere, Geschäftsunterlagen, die nicht mit der Post geschickt werden können«, entgegnete Angel.
    Manuel betrachtete ihn traurig.
    »Dass du so dumm bist, hätte ich nicht für möglich gehalten«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Er betrügt uns, merkst du das nicht?«
    Patricio hatte sich bisher aus der Diskussion herausgehalten, aber Manuel sah in seinen Augen, dass auch ihn das Angebot lockte.
    »Für das Geld können wir eine eigene Mühle für den Kaffee kaufen, und wir können roden und mehr Pflanzen anbauen«, sagte er.
    |99| »Vielleicht sogar ein Auto kaufen«, fiel Angel ein und fantasierte weiter, »damit können wir Waren ins Dorf bringen und mehr Geld verdienen.«
    Damals, auf der Bank vor der Kirche, hatte Manuel das alles nicht so ernst genommen. Ihm machte nur die Ahnungslosigkeit der Brüder Sorgen und dass sie sich so leicht mitreißen ließen.
    Manuel dachte an ihren Vater. Er hatte die Fiesta immer geliebt, manchmal war er ein bisschen betrunken gewesen, aber immer friedlich geblieben. Ein guter Campesino war er nie. Die Träume hatten ihn nur allzu oft an der Arbeit gehindert. Dann hielt er dabei inne, und das konnte sich kein mexikanischer Kleinbauer erlauben. Dennoch mochte man ihn im Dorf. Er war fürsorglich und zum Erstaunen aller hatte er die Initiative für die Kaffeekooperative ergriffen und auf diese Weise sein Teil dazu beigetragen, das Dorf von der schlimmsten Armut zu befreien.
     
    Jetzt stand Manuel an einem Fluss, der bedeutend bescheidener war als der, an den er gewohnt war. Nachdem er die Karte studiert hatte, begriff er, dass es derselbe war, an dem er gezeltet hatte. Aber dieses Mal befand er sich stromaufwärts von der Stadt, und damit war er zufrieden.
     
    Manuel war zur Touristeninformation gegangen, um sich eine Karte zu besorgen. Oder hatte ihn das Schicksal dorthin geführt? Als er nämlich wieder auf den Bürgersteig trat, stand Armas vor ihm, wie von einer höheren Macht gesandt. Armas steckte gerade einen gelben Umschlag in die Innentasche seines Jacketts, und als er zur Seite sah, um die Straße zu überqueren, entdeckte er Manuel.
    Armas erkannte ihn auf der Stelle. Manuel ging auf »den Stillen« zu, wie Angel Armas genannt hatte. Die Lüge kam ihm wie eine

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