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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Eingebung.
    |100| »Ich bin für Angel gekommen«, sagte Manuel und hatte keine Ahnung, was daraus folgen würde.
    Er lächelte unsicher, als würde er einen Gringo ansprechen, der ihm vielleicht einen Job für einen Tag oder eine Woche geben könnte.
    Armas sah sich um. Manuel war sich zuerst nicht sicher, ob er Englisch verstand, und wiederholte den Satz auf Spanisch.
    »Wo?«, fragte Armas.
    »Bei meinem Zelt«, sagte Manuel und sah Patricios Gesicht vor sich.
     
    Er wusste nicht einmal, ob er das Gewässer, an dem er zeltete, Fluss nennen sollte, denn es bestand zumeist aus Schilf. Er wunderte sich, dass sich am Fluss so wenige Menschen aufhielten. Ein Mann mit einer Angelrute war dort, aber sonst niemand.
    Das Gras in dem fremden Land gefiel ihm sehr. Es roch gut, war weich und erinnerte ihn an ein besonderes Gras, das sie manchmal in den Bergen über dem Heimatdorf gesehen hatten. Das Gras zu Hause war sonst scharfkantig und spitz.
    Er lag auf dem Rücken, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und starrte in den Himmel. Immer wieder kehrte er in Gedanken zu Armas zurück, wie er geschwankt hatte, ehe er, die Hände an den Hals gepresst, vor Manuel zusammengebrochen war. Es hatte irgendwie schön ausgesehen, wie sich das Blut zwischen den Fingern als zarte rote Fluten seinen Weg suchte.
    Manuel hatte erst begriffen, dass dieser kraftvolle Körper mit der glatten Haut und den gepflegten Händen ohne Leben war, als sich die Fliegen darauf niederließen.
    Manuel grübelte, ob es in Armas’ Leben eine Frau gegeben haben könnte. Er versuchte sich ihre Trauer vorzustellen, sah aber immer nur eine lachende Frau vor sich. So war es, redete er sich ein, auf Armas’ Tod folgte Erleichterung. Er hatte eine |101| gottgefällige Tat vollbracht, wenn man Gottes Willen so deutete, dass er das Glück der Menschen wollte. Armas hatte nur Unglück gebracht.
    Sein Blick war gefühllos gewesen, die Augen klein, leblos und die Pupillen schwarz wie Ruß. Er erinnerte an ein Reptil. Aber der Körper sprach eine andere Sprache, und davon hatte sich Manuel anfangs täuschen lassen. Armas Bewegungen waren geschmeidig, um nicht zu sagen schön, und das, obwohl er so groß war. In der Stadt war er abwartend gewesen, hatte Manuel mit dem Blick auf Distanz gehalten. Doch kaum hatten sie ihre Autos beim Fluss geparkt, legte er Manuel einen Arm um die Schulter und fragte, ob ihm kühl sei.
    »Für einen Mexikaner muss es hier sehr frisch sein«, sagte er, als wolle er Manuel wärmen, ließ ihn aber gleich wieder los.
    Armas überschüttete ihn mit Fragen. Wie und wann er nach Schweden gekommen sei, ob er Schweden getroffen, ja vielleicht sogar Freunde gefunden habe?
    »Die Schweden lieben Latinos«, sagte er. »Du kannst morgen einen Tanzkurs starten, und jede Menge Frauen werden kommen und mit dem Arsch wackeln.«
    Er sprach gut über Mexiko, dass er gern dorthin zurückkehren wollte, und dass Manuel sein mexikanischer Freund sein könnte. Hatte Armas tatsächlich geglaubt, er, Manuel, würde die Arbeit seiner Brüder fortsetzen? Angedeutet hatte er es. Hatte mit Reichtum gewunken. Manuel staunte nur: ein Mann tot und einer im Gefängnis, und dieser hier hatte die Stirn, von Dollars zu reden.
    Als sie zum Zelt kamen, und das dauerte bestimmt zehn Minuten, denn Armas blieb ständig stehen, rühmte er die Wahl des Platzes und wie gut Manuel alles arrangiert habe.
    »Wie hast du mich wiedererkennen können?«, fragte Manuel plötzlich. »Wir haben uns nur ganz kurz gesehen, und das ist lange her.«
    |102| »Du bist wie deine Brüder«, sagte Armas, »und ich habe ein gutes Personengedächtnis. Ich weiß, bei welchen es wichtig ist, dass man sich an sie erinnert. Ich arbeite mit Menschen und das   …«
    Dann verstummte er plötzlich mitten im Satz, blieb stehen und betrachtete Manuel.
    »Bist du wütend?«
    Manuel nickte, konnte aber nichts sagen. Nichts von alledem, was er sich seit Monaten überlegt hatte, kam ihm über die Lippen.
    »Hast du deinen Bruder besucht?«
    »Ja, einmal.«
    »Der hat natürlich eine Menge dummes Zeug geredet?«
    »Er hat von dem Geld gesprochen«, sagte Manuel, und verfluchte sich. Als wenn Geld das Wichtigste wäre.
    »Aha, ist er immer noch aufs Geld aus«, sagte Armas lächelnd, und dann wechselte er plötzlich über ins Englische.
    »Ich finde, er sollte froh sein, dass er lebt«, sagte er kryptisch.
    »Wie meinst du das?«
    »In Gefängnissen passieren eine Menge unangenehme Dinge, die Leute sind

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