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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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so vielem anderen mit, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Ganz besonders gefiel ihm das Geräusch des Fleischs, wenn es in die heiße Bratpfanne geworfen wurde. Sekundenlang konnte Manuel dann vergessen, warum er in Schweden war, und er summte sogar ein Lied, das Lila Downs auf dem Markt von Oaxaca gesungen hatte.
    Gegen elf begann der Strom von Porzellan und Besteck zu versiegen, und er konnte etwas entspannen. Eva und Tessie servierten die letzten Desserts, und die Köche begannen aufzuräumen und sauber zu machen. Feo rief nach ihm, fragte, ob er müde sei, aber Manuel fühlte sich, als könne er, wenn nötig, die ganze Nacht durcharbeiten.
    Eva kam mit einem Tablett voller Gläser. Sie sah ihn an, als wollte sie ihn testen, ob er noch mehr Fragen über sein Heimatland ertragen könnte. So verstand er jedenfalls ihren Blick und das vorsichtige Lächeln. Als er ihr freundlich zunickte, stellte sie sich neben ihn und begann, Geschirr in die Maschine zu räumen.
    »Du kommst aus einem kleinen Dorf?«, sagte sie und Manuel nickte.
    »Woher hattest du das Geld, hierherzufahren?«
    »Ich habe gespart«, antwortete Manuel und war jetzt auf der Hut.
    »Ich spare auch«, antwortete Eva, »aber ich komme nie irgendwohin. Das Geld reicht nie. Ich träume vom Reisen, aber ich bin nie außerhalb Schwedens gewesen. Doch, einmal, da gingen Großvater und ich nach Norwegen.«
    »Ist Norwegen ein anderes Land?«
    |264| »Ja, und es grenzt an Schweden.«
    »Habt ihr Arbeit gesucht?«
    »Nein«, lachte Eva. »Wir haben Beeren gepflückt. Großvater hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass wir Norwegen besuchen müssten. Ich weiß noch, wie müde ich wurde.«
    »War da keine Polizei? An der Grenze, meine ich.«
    »Polizei?«
    »Ihr konntet doch nicht einfach in ein andres Land gehen?«
    »Na klar! Die Grenze zwischen Schweden und Norwegen ist fast ganz offen«, erklärte Eva. »Man kann kommen und gehen, wie man will.«
    Sie erzählte ihm, wie eng die Kontakte der Menschen diesseits und jenseits der Grenze seit jeher waren. Sie berichtete ihm die mehr oder weniger wahren Geschichten des Großvaters von Heldentaten im Zweiten Weltkrieg, als norwegische Widerstandskämpfer in beide Richtungen über die Grenze geschmuggelt wurden. Manuel hörte fasziniert zu.
    »Alle haben mitgeholfen. Fast alle wählten die Kommunisten und hassten die Nazis. Deshalb war es nie schwer, Freiwillige zu finden.«
    Eva lächelte in Gedanken.
    »Sehnst du dich dorthin zurück?«, fragte Manuel.
    »Ja, manchmal. Aber das hat zwei Seiten. Ungefähr so, wie für meinen Großvater. Wenn er zu Hause in Värmland war, dann war er ein ganz anderer Mensch. Er war guter Dinge, redete mit den Leuten und lachte. Manchmal mischte er sogar finnische Wörter dazwischen. In Uppsala war er mürrisch und kurz angebunden.«
    »Er hatte auch Sehnsucht«, stellte Manuel fest.
    Sie lächelte, und wieder hatte Manuel das Gefühl, als stecke hinter ihrem Lächeln noch etwas anderes.
    »Vielleicht kann ich dich ja mal besuchen kommen«, fuhr Eva plötzlich fort. »Also, ich meine, deine Familie, nicht so, |265| dass ich umsonst wohnen will, aber es ist immer gut, wenn man jemanden kennt   …«
    Sie verstummte, und Manuel sah, wie die Röte langsam vom Hals ausgehend ihre Wangen überzog. Er stellte Teller in die Spülmaschine, und aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie die Kellnerin kurz die Augen schloss und sich mit dem Handrücken über die Stirn fuhr.
    »Bist du müde?«
    »Ja, es wird langsam spät«, sagte sie.
    »Das wäre schön, so ein Besuch«, sagte Manuel.
    Er konnte ja großzügig sein, fand er, denn er ahnte, dass aus so einer Reise wohl nie etwas werden würde.
    Er unterbrach seine Arbeit, schob unbewusst ein Tablett mit Gläsern zur Wand und betrachtete Eva. Erst merkte sie es nicht, doch als sie die Spülmaschine fertig eingeräumt und geschlossen hatte, fiel ihr auf, dass er nicht mehr arbeitete.
    »Was ist?«
    »Nichts«, sagte Manuel. Aber er wandte den Blick nicht von ihrem Gesicht, obwohl er spürte, dass ihr dieses Mustern zwar nicht gerade unangenehm war, aber doch ein bisschen komisch vorkam.
    »Es wäre schön, wenn du in mein Land kämst. Die Touristen, die Mexiko besuchen, sind anders als du. Die gehen über den Markt, in die Kirchen und sitzen in den Restaurants, ohne uns eigentlich zu sehen. Wenn du wüsstest, wie wir uns fühlen   …«
    »Mexiko? Du hast doch Venezuela gesagt?«
    »Ich hab gelogen«, sagte Manuel, und erst jetzt wandte er den

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