Rot wie Schnee
Blick ab. »Frag nicht, warum, und sprich mit niemandem darüber.«
»Nein, warum sollte ich«, sagte Eva schlicht. »Ich fahre genauso gern nach Mexiko.«
Er fiel in ihr Lachen ein und merkte plötzlich, dass er zum ersten Mal lachte, seit er in Schweden war. Er spürte, wie ihn |266| die Freude, verstärkt durch Feos Summen und die Hitze der Spülmaschine, ergriff. Sekundenlang war er voller Optimismus. Als wirkte das Ende des Lügens wie eine Befreiung. Dadurch war er auch mit den Geschehnissen der letzten Tage versöhnt. Dass Eva ihn verraten könnte, kam ihm nicht in den Sinn, und vielleicht bewirkte dieses unerwartete Vertrauen in einen anderen Menschen, dass er für einen Moment einfach nur er selbst sein und frei reden konnte, als wäre er zu Hause.
Er erzählte ihr von Kalifornien, von der Arbeit als Erntehelfer, von den Baracken, in denen er und die Brüder hausen mussten, von der Sonne, wegen der sie erst schwitzten und träge wurden, später unruhig und streitlustig.
Eva saß auf einem Schemel und hörte zu. Die Hände hatte sie im Schoß gefaltet. Manchmal warf sie eine Frage ein, aber meist hörte sie nur still zu und beobachtete ihn. So verging eine Viertelstunde. Als das Rauschen der Spülmaschine plötzlich mit einem Knacken abbrach, verstummte auch Manuel.
»Das ist mein Land«, schloss er, und es schien ihm, als habe er wahrheitsgetreu erzählt. Gleichzeitig war ihm bewusst, wie viel noch fehlte. Er war richtig aufgekratzt, und er merkte, wie viel es ihm bedeutete, dass sie mit echtem Interesse zuhörte. Aber sobald sie aufstand und sagte, sie müsse sich ein bisschen nützlich machen, war schlagartig die Leere wieder da, die er fühlte, seit man ihn über Angels Tod in Deutschland und über Patricios Gefängnisstrafe informiert hatte.
Sie verließ die Küche, und Manuel sah ihr nach. Die Tür zum Restaurant schwang noch kurz hin und her.
Im nächsten Augenblick betrat Slobodan Andersson die Küche.
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W er bist du?«
Verdutzt betrachtete Slobodan Andersson Manuel, der unbewusst den blauen Spülmaschinenkorb in die Höhe hielt, den er gerade in die Hand genommen hatte.
Der Restaurantbesitzer schien die Augen nicht von dem Neuen in der Spülküche abwenden zu können. Manuel senkte den Blick, er drehte sich um und schob den Korb auf die Spüle.
»Woher kommst du?«
Manuel sah den Dicken an, und der wiederholte seine Frage auf Englisch.
»Amerika«, antwortete Manuel und erlebte ein unerwartetes Gefühl von Optimismus. Vielleicht lag das am Gespräch mit Eva heute Abend. Oder die Tatsache, dass Slobodan Andersson betrunken war, erfüllte ihn mit Zuversicht, nachdem sich der erste Schrecken über das unerwartete Auftauchen des Dicken gelegt hatte.
Slobodan Andersson ließ sich auf dem Schemel bei der Tür nieder. Der Oberkörper schwankte, und im Gesicht spiegelte sich eine fast schon verzweifelte Müdigkeit.
»Amerika ist groß«, nuschelte er. »Da gibt’s … Ich bin in Las Vegas gewesen, was für ’ne verdammte Stadt.«
Manuel, der ihn betrachtete, musste sich ellenlange Ausführungen zu Slobodan Anderssons Erfahrungen in den USA anhören. Urplötzlich sagte er nichts mehr, hob seinen schweren Kopf und starrte Manuel an.
»Ich vertraue keinem«, sagte er dann, unerwartet heftig. »Alle wollen bloß abstauben. Sei froh, dass du nur über so ’n bisschen Geschirr nachdenken musst.«
Manuel lächelte und stellte Weingläser in einen Spülmaschinenkorb. Er war froh, beschäftigt zu sein.
»Ich hatte einen Kumpel, den hat wer ermordet. Das hast |268| du bestimmt schon gehört. Wir kannten uns mindestens seit zwanzig Jahren … zwanzig verdammte lange Jahre. Und dann lässt sich der Kerl umbringen. Ist das gerecht? Wir waren wie Brüder … Hast du Brüder?«
Manuel nickte.
»Dann weißt du’s ja. Ein Bruder ist alles. Brüder lassen einen nicht im Stich.«
»Hat er dich im Stich gelassen?«
Slobodan Andersson fixierte den Fremden mit glasigen Augen. Für wenige Augenblicke vergaß Manuel sich, und der Mann tat ihm leid. Aus dessen kläglichem Blick sprachen die Trauer und die ganze menschliche Erbärmlichkeit, die er so gut kannte.
Aus dem Korb mit dem Besteck nahm er ein Messer. Auf dem Blatt klebte noch ein Stückchen Fleisch. Er müsste das Messer tief in den fetten Leib stoßen und dann das »Dakar« verlassen. Dann wäre die Rechnung beglichen und nichts mehr offen.
»Ich weiß nicht«, sagte Slobodan Andersson und sah das Messer an.
Manuel warf das
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