Rot
Der jähzornige und geschickte Militärstratege hatte ein Auge durch die Pocken verloren und trug deshalb seit seiner Kindheit den Namen Einäugiger Drache. Der legendäre Samurai war auch ein begabter Dichter gewesen. Ukkolas Miene wurde angespannt, als er versuchte Masamunes Gedicht, in dem die Schönheit des Bergs Fuji gepriesen wurde, zu übersetzen:
Each time I see Fuji,
It appears changed.
And I feel I view it,
Ever for the first time.
Das Klingeln des Telefons unterbrach seine Gedankengänge, er meldete sich sofort, als er sah, wer ihn anrief.
Markus Virta kam ohne Umschweife zur Sache: »Du bist auf dem Flur hier in Jokiniemi wieder auferstanden. Nymans Jungs sind irgendwelchen illegalen chinesischen Arbeitskräften auf die Spur gekommen und haben dich in Verdacht, dass du da mit drinsteckst. Die KRP besitzt Beweise, was für welche habe ich allerdings nicht herausgekriegt.«
»Hast du noch etwas gehört?«, fragte Ukkola, und als Virta das verneinte, brach er das Gespräch noch in derselben Sekunde ab. Es ging los, man wollte ihn opfern, da war sich Ukkola nun sicher, er musste auf der Stelle etwas unternehmen. Doch das nächste Telefonat würde er sicherheitshalber aus seinem Wagen und von einem Prepaid-Anschluss führen.
Ukkola zog rasch den Mantel über, fuhr in seine Laufschuheund steuerte wenig später seinen Audi auf die Pitäjänmäentie. Er wählte die Nummer des Vorsitzenden und war schon kurz davor aufzugeben, als der Mann sich doch noch meldete.
»Ich habe eben gehört, dass mir nun auch die Schuld an den Geschäften von Workhelp und Suomen Kivijaloste in die Schuhe geschoben werden soll«, sagte Ukkola.
»Nicht am Telefon«, fauchte der Vorsitzende. »Wir treffen uns …«
»Ich habe einen Übersetzer bezahlt und Kopien von Eeva Vanhalas Material angefertigt. Alle Unterlagen zu Workhelp, Kivijaloste und zu den Geschäften des Kabinetts habe ich vernichtet. Zum Glück ist mir rechtzeitig klar geworden, warum du mich zum einzigen Verbindungsglied zwischen dem Kabinett und dessen Verbrechen machen wolltest. Ein Mann, dem schwerer Menschen- und Drogenhandel vorgeworfen werden, lässt sich leicht opfern.«
Eine Reaktion kam erst nach einer Weile. »Du hast Kopien gemacht … Wo sind die? Darüber müssen wir reden …«
Ukkola unterbrach ihn: »Ich habe die Dokumente eingescannt. Die Dateien habe ich auf Memorysticks gespeichert und dann an zwölf Kriminelle aus der Region Helsinki verteilt. Ihr schafft es sicher, die Namen aus mir herauszuholen, aber dieses Dutzend wird seine Informationen nicht rausrücken. Es mit Gewalt zu versuchen, dürfte sich nicht lohnen, jeder von ihnen hat eine große Truppe hinter sich. Sie schicken ihren Stick sofort an die Behörden oder an die Presse, falls mir irgendetwas passiert.«
Dem Vorsitzende verschlug es für eine Weile die Sprache. »Du hast sie an zwölf …«
»Die Dateien sind mit einer 256-Bit-Verschlüsselung nach AES-Standard geschützt, die kann angeblich niemand knacken. Sorge dafür, dass ich mit heiler Haut davonkomme, dann nimmt alles ein gutes Ende«, erwiderte Ukkola, brach das Gespräch ab und fühlte sich so verdammt kompetent, dass er sich beinahe schämte.Einem toten Löwen einen Tritt zu versetzen, das traute sich jeder. Aber jetzt mussten sie einsehen, dass er immer noch bestens in Form war. In Höchstform.
* * *
Der Vorsitzende verabschiedete sich nicht einmal vom Vorstandschef der Sampo AG und vom Geschäftsführer eines weiteren Versicherungsunternehmens, mit denen er im Salon »Konsul« der Festetage des Restaurants Savoy beim Abendessen gesessen hatte. Im Aufzug musste er an sich halten, damit er nicht den Spiegel mit einem Tritt zertrümmerte. Das war das Ende des Kabinetts, da gab es keine Frage. Nun wäre er gezwungen, das seit dreißig Jahren laufende geniale Projekt aufzulösen. Im August waren die Firmen aufgeflogen, die Menschenhandel betrieben, und nun war es endgültig unmöglich geworden, Finanzmittel zu beschaffen, nachdem die Polizei erfahren hatte, wie Workhelp und Kivijaloste funktionierten. Und das Allerschlimmste: Das Smirnow-Material war in Ukkolas Hände gelangt – und mithilfe der Sticks auch in die von einem Dutzend Kriminellen.
Er verließ den Fahrstuhl, ging auf der Eteläesplanadi in Richtung Süden und bog wenig später nach rechts ab zur Tiefgarage auf dem Kasarmitori. Aus irgendeinem Grund fiel ihm jener Augustabend 1981 ein, an dem er und einige andere junge Senkrechtstarter in ihrer
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