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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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noch krankgeschrieben war.
    Als er auch die letzte rote Kugel eingelocht hatte, stellte er den Queue in den Ständer, krempelte die Ärmel seines hellroten Hemdes herunter und befestigte die schwarz-weißen Manschettenknöpfe mit dem Logo des Trinity Hall College der Cambridge University. Er trat hinaus auf die Pall Mall im Herzen Londons. Es war 14:01 Uhr und Grover wollte Dylan vorzeitig aus dem Kindergarten in Highbury abholen, um noch mit dem Jungen spielen zu können, bevor dessen Eltern nach Hause kamen. Beim Gedanken an sein vierjähriges Enkelkind lächelte er. Was würde der Schlingel wohl heute machen wollen? Kricket spielen, Fahrrad fahren oder in der Dachkammer mit dem Bettzeug eine Bude bauen? Gott sei Dank brauchte er keine Aufträge im Ausland mehr zu übernehmen. Die Zeit, in der seine Kinder herangewachsen waren, hatte er größtenteils verpasst, denn während seiner Jahre im operativen Einsatz hatte er in Ländern arbeiten müssen, in die er seine Familie nicht mitnehmen wollte. Jetzt holte er das Versäumte nach, indem er mit seinem ersten Enkelkind so viel Zeit wie möglich verbrachte.
    Es war ein klarer, sonniger und kühler Tag. Grover stieg in der Station St. James’s Park in eine Metro der District Line, fuhr bis zur Victoria Station und lief den mit weißen Fliesen verkleideten Verbindungsgang entlang bis zum anderen Bahnsteig, um auf den Zug in Richtung Walthamstow zu warten. Der Bahnhof war brechendvoll, obwohl die Rushhour am Nachmittag noch nicht begonnen hatte. Er stand ein paar Meter von der Bahnsteigkante entfernt und knöpfte seinen Kamelhaarmantel zu, als er den kalten Luftzug aus dem Tunnel spürte. Jemand faltete seine Zeitung zusammen, ein anderer klappte sein Taschenbuch zu und ziemlich viele Reisende steckten ihr Handy in die Tasche. Der Zug kam. Grover machte einen Schritt in Richtung der gelben Markierungslinie, die auf den Fußboden gemalt war, die Menschen ringsum drängten sich immer enger zusammen und bildeten eine dichte Traube. Der schneidende Wind aus dem Tunnel nahm zu, der Lärm des Zuges auch.
    Grover wurde mit der Menschenmenge Zentimeter für Zentimeter näher an die Bahnsteigkante getrieben, jetzt war nur noch so wenig Platz, dass sich die Körper wildfremder Menschen gegen ihn drückten. Plötzlich packte ihn jemand mit aller Kraft von hinten um die Taille. Der Zug dröhnte nur ein paar Dutzend Meter entfernt. Er spürte, wie sich seine Schuhe vom Boden lösten, und stieß einen Schrei des Entsetzens aus, dann trug und schob man ihn in den sicheren Tod. Er war noch einen Meter vom Gleis entfernt und sah den ersten Wagen schon ganz nah vor sich … Grover streckte die Beine nach vorn, sie schlugen gegen die Front des Metrowagens, und die Wucht des Aufpralls drehte ihn um. Er stieß mit dem Kopf gegen ein Seitenfenster des Wagens und fiel auf den Bahnsteig , dann wurde alles rundum schwarz.
    * * *
    Kurz nach Mittag stieg Leo Kara auf der Hämeentie aus dem Taxi. Es war kalt und regnerisch und auch sonst empfand er die Rückkehr nach Helsinki als bedrückend, jetzt erinnerte er sich an Dinge, die er viele Jahre lang aus seinem Bewusstsein verdrängt hatte. Beispielsweise wie Vater ihn im Sommer 1982 zu einer Fahrt mitder U-Bahn mitgenommen hatte, als sich die brandneue Metrolinie noch im Probelauf befand.
    Kara bezahlte das Taxi, warf einen Blick auf die berühmte Kurve der Hämeentie im Stadtteil Sörnäinen. An der Bushaltestelle saß ein Pärchen, trank einen Longdrink aus Dosen und amüsierte sich auf Kosten der Passanten. Noch in seiner Jugend galt diese Gegend als verrufen, aber jetzt war das anders. Filialen von großen Marken, Gourmet-Restaurants oder renommierte Anwaltskanzleien suchte man hier allerdings auch jetzt vergeblich.
    Kara drückte auf den Knopf des Türsummers am Eingang eines Hauses am Rande der Kurve und stieg die Treppe zu Ville Käräväs Kanzlei hinauf. Die Tür ging auf, und überrascht erblickte er einen etwa sechzigjährigen, gebückten Mann mit schmalem Gesicht, der eine Maiskolbenpfeife aus dem Mund nahm. Aufgrund der Stimme hatte er sich Kärävä deutlich jünger vorgestellt.
    »Das ist ganz ausgezeichnet, dass du beschlossen hast, dich an diesem … Projekt zu beteiligen. Ich war richtig überrascht, dass du dich so schnell freimachen und nach Finnland kommen konntest«, sagte Kärävä, während er Karas Mantel an die Garderobe hängte und ihn in seine Kanzlei führte, die nur aus einem Raum bestand. Der war vollgestopft mit

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