Rot
Ukkola.
Kati Soisalo stand auf und stellte sich vor ihn hin. »Jetzt bist du dran mit reden. Du hast schon erlebt, wozu ich mit Paranoid zusammen imstande bin. Und Leo Kara ist auch wieder in Helsinki, er hat neue Informationen über Kabinettsmitglieder, auch Namen. Wenn du mir hilfst, Vilma zu finden, lassen wir dich in Ruhe. Ansonsten fördern wir die ganze Scheiße zutage, die du angestellt hast, und übergeben die Informationen an Nyman von der KRP.« Kati Soisalo bemühte sich, so überzeugend wie möglich zu wirken, obwohl sie wusste, dass ihre Drohungen soviel wert waren wie ungedeckte Schecks.
Ukkola überlegte einen Augenblick, dann zog ein breites Lächeln über sein Gesicht. »Du hast ganz recht. Vilma ist nie in Belgrad oder in Vittorio Veneto gewesen.«
Kaum hatte sich Kati Soisalo gefreut, dass es ihr gelungen war, Ukkola die Information mit einem Bluff zu entlocken, da packte sie schon die Wut. »Vilma wurde in Vittorio Veneto auf einem Foto erkannt. Du hattest Stein und Bein geschworen, dass sich das Mädchen dort befindet. Und die beiden finnischen Touristen haben Vilma in Belgrad gesehen.«
»Ich habe geschwindelt«, erwiderte Ukkola amüsiert. »Ich wollte nicht, dass Vilmas Aufenthaltsort … dass die Wahrheit herauskommt. Das Mädchen auf dem Foto war nicht Vilma und hat sie auch nie zu Gesicht gekriegt. Und ich habe nicht die geringsteAhnung, was für eine Göre die beiden Touristen in Belgrad gesehen haben.«
»Wurde Vilma im Anschluss an die Entführung nach Finnland gebracht? Wo ist sie jetzt? Ist Vilma am Leben?« Kati Soisalos Stimme wurde immer lauter.
»Du ziehst einfach wieder hier ein und machst die Beine breit, wenn man es verlangt. Dann wirst du alles herausfinden. Sonst nicht.«
Kati Soisalo konnte sich nicht mehr beherrschen. »Weißt du, was ich vorhatte, als ich im August hierhergekommen bin und versprochen habe, zu dir zurückzukehren, wenn du mir sagst, wo Vilma ist?«
»Du hattest vor, dich mit deinem Schicksal abzufinden.«
»Ich hatte beschlossen, dich umzubringen. Egal wie«, sagte Kati Soisalo und schaute ihren Exmann mit einem Blick an, der nichts unklar ließ.
Ukkola fuhr sich mit den Fingern durch sein rabenschwarzes Haar und presste die Lippen zusammen. Dann schossen die Worte doch aus ihm heraus: »Es ist Zeit, dass du etwas erfährst. Ich bin nicht Vilmas Vater.«
Kati Soisalo blieb der Mund offen stehen, sie wurde noch blasser.
»Ich bin steril«, erklärte Ukkola mit ernster Miene. »Mumps mit sechzehn, Hodenentzündung und so weiter.«
* * *
Verdammter Mist, das ist nicht einmal annähernd so gelaufen, wie es sollte, dachte Jukka Ukkola, während er durchs Fenster zusah, wie Kati Soisalo Gas gab und ihren Smart durch das Tor in der Weißdornhecke manövrierte. Er bereute es, dass er Kati geärgert und vor lauter Wut auch noch sein Geheimnis verraten hatte. Bisher wusste nur seine Mutter, dass er unfruchtbar und eben ein Gipsei war. Schon seit Jahrzehnten bemühte er sich, nicht an diesenBegriff zu denken: Gipsei hatte ihn sein Vater nach dem Ziegenpeter immer genannt, dieser verdammte Sadist, er hatte das Wort wie einen scherzhaften Kosenamen benutzt.
Auch das noch. Als wäre es nicht schon genug, dass man ihn bei der KRP rausgejagt hatte. Schon der Gedanke, dass er die Rangabzeichen des stellvertretenden Chefs trug, hatte fast jeden Tag seinen Zeiger auf die Zwölf schnellen lassen, das musste er sich eingestehen.
Ukkola stieg die Treppe hinunter in den Keller, zog im Umkleideraum den Bademantel aus und betrachtete seinen Körper im Spiegel. Er war mager, sehnig und effizient. Irgendeine normale Arbeit würde er garantiert nicht mehr übernehmen. Ukkola wusste sehr wohl, dass man im Leben zuweilen gezwungen war, Zugeständnisse zu machen, aber in seinem Fall war das nur äußerst selten eingetreten.
Er setzte sich in der Sauna, die er kürzlich renoviert hatte, auf die Pritsche aus Schwarzerlenholz und versuchte seinen Ärger mit häufigen Aufgüssen zu ersticken. Als an jenem 17. August Kati auf der Treppe seines Hauses lag und er angenommen hatte, sie wäre tot, da hatte sich tief in ihm etwas gerührt, das musste er zugeben. Natürlich war er an dem Tag völlig durch den Wind gewesen, immerhin hatte er gerade einen Menschen getötet und eine Kugel ins Bein bekommen. Doch der Aufruhr in ihm legte sich selbst nach Wochen nicht. Das erste Mal wurde ihm klar, dass auch er sterblich war und dass er Kati tatsächlich nicht endgültig verlieren
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