Rot
wollte. Er hatte die Absicht, seine Frau zurückzugewinnen, indem er seine empfindsame Seite offenbarte und sich aufopferungsvoll um sie bemühte, das liebten die Frauen, zumindest behaupteten es alle. Das machte ihn noch lange nicht zum rührseligen Softie, es brauchte ja niemand außer Kati davon zu wissen.
Ukkola duschte kalt und stieg dann nackt und von der Sauna immer noch gerötet hinauf in sein Arbeitszimmer. Kürzlich hatte er von seinen Lieblingsfotos Poster in der Größe 30 × 40 und50 × 70 Zentimeter anfertigen lassen. Die bedeckten nun die Zimmerwände vom Fußboden fast bis zur Decke.
Die Fensterwand war Fotos von ihm und Kati gewidmet: sie beide auf ihrer Italienreise am Strand von Amalfi, bei einer Wanderung in Kuusamo, beim Sonnenbad auf einem Segelboot, bei der Gartenarbeit mit der Harke in der Hand, in der Kirche von Pitäjänmäki als frischvermähltes Paar … Die Nordwand zeigte Porträtfotos von Kati: die lächelnde, verweinte, lachende, wütende, verblüffte, sich schminkende und den Mund verziehende Kati. An der Südwand hingen seine Fotos von Kati, die besonders sexy waren: Kati, wie sie nackt auf dem Bett liegt, mit wippenden Brüsten in einen See rennt, ihre Stay-ups anzieht, sich mit dem Saunatuch abtrocknet und im pitschnassen T-Shirt eine Skulptur des Trevi-Brunnens in Rom umarmt.
Jukka Ukkola bekam eine Erektion, als er die Fotos seiner Exfrau anstarrte. Näher an eine Frau heran kam er heutzutage nicht mehr, nachdem man ihn sowohl bei der Jagd nach Teenagern im Internet als auch beim Verfrachten von Huren nach Finnland erwischt hatte. Seine Geduld reichte nicht aus, um sich Fleisch auf dem freien Markt zu beschaffen, er gehörte nicht zu den Männern, die eine Frau zum Essen und Trinken einluden, sie von vorn und hinten bedienten und Süßholz raspelten, nur um sie rumzukriegen und flachzulegen. Außerdem war Kati seine Frau, das wurde ihm jetzt klar.
Die Schüsse im August hatten tatsächlich bewirkt, dass seine Gedanken klarer wurden. Er fand, er müsste etwas demütiger werden, und nahm vom Schreibtisch eine Anthologie japanischer Tanka, reimloser Kurzgedichte. Der Samurai-General Taira no Tadanori, gefallen 1184 in der Schlacht von Ichi-no-Tani, war garantiert kein ätherischer Hasenfuß, obwohl er Verse geschmiedet hatte. Warum sollte er selbst also nicht den Mut aufbringen, das Gleiche zu tun wie einer der besten Soldaten der Weltgeschichte?
Kühl war es damals
und der Mond am Himmel fahl,
als wir uns trennten.
Seitdem hass’ ich nichts so sehr
wie seine Morgensichel.
Das Gedicht ergab seiner Ansicht nach keinen Sinn, vielmehr musste er darüber lachen. Aber das war egal, solchen Scheiß mochten angeblich auch Frauen mit einer harten Schale.
6
Mittwoch, 5. Oktober
Clive Grover hinkte mit dem linken Bein, als er auf der Metrostation Kensington High Street aus dem Zug der Circle Line ausstieg. Mit der Rolltreppe fuhr er hinauf zu dem Einkaufszentrum im edwardianischen Stil, bestellte bei Pret A Manger eine Tasse Kaffee und bemerkte, dass seine Hände zitterten. Er hatte verdammt große Angst. Durch die Fenster des Cafés sah man den Strom der Menschen, die ankamen oder abfuhren. Auf dem Bahnsteig der Victoria Station hatte er das Bewusstsein nur kurz verloren, es war niemandem aufgefallen, keiner hatte vor Schreck Hilfe herbeigerufen. Zum Glück waren es die Londoner gewöhnt, sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Die Schläfe und das Bein schmerzten, aber es war nichts gebrochen, und er blutete nicht. Die meisten Sorgen bereitete ihm, dass Klein-Dylan immer noch im Kindergarten darauf wartete, abgeholt zu werden, und er wagte nicht, seine Tochter anzurufen und ihr zu erklären, in was für einer … Lage er sich befand. Jetzt enttäuschte er auch schon das Vertrauen seines Enkels.
Grover war in seinen ganzen vierundzwanzig Jahren beim britischen Auslandsnachrichtendienst noch nicht ein einziges Mal Opfer von Gewalt geworden und während seiner operativen Einsätze immerhin sowohl in Syrien, im Irak als auch in Russland und China stationiert gewesen. Jetzt hatte man versucht, ihn zu liquidieren, das war klar. Er konnte schließlich unterscheiden, ob im Gedränge jemand versehentlich geschubst wurde oder mit Absicht vor den einfahrenden Zug gestoßen werden sollte. Man hatte ihn mit aller Kraft von hinten gepackt und hochgehoben. Gemeinhinwar es nicht üblich, hochrangige Geheimdienstbeamte zu ermorden, allerdings gab es auch Ausnahmen: Im letzten
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