Rot
Saurivaara starrte ihn verdutzt an.
»Niemand weiß, wo er ist. Ich versuche den Behörden bei der Suche nach ihm zu helfen«, fuhr Kara fort. »Ich wollte dich treffen, weil die Sowjetunion etliche Male versucht hat, Vater anzuwerben, und das gerade in den siebziger und achtziger Jahren, als ihr hier in Otaniemi gemeinsam gearbeitet habt.«
Saurivaaras Augen weiteten sich noch mehr, ihr Gesichtsausdruck wirkte angespannt und die Hand mit der Kaffeetasse hielt mitten in der Bewegung inne, als hätte jemand auf der Fernbedienung die Pause-Taste gedrückt. »Die Sowjetunion … hat versucht deinen Vater … anzuwerben. Und wofür?«
Die Antwort klang unbeholfen, und zu alledem wurde Kirsti Saurivaara auch noch rot. Kara beschloss, weiter in die Offensive zu gehen. »Wissenschaftlich-technische Aufklärung wurde das angeblich beim KGB genannt. Kannst du dazu etwas sagen? Warum interessierte sich der KGB für Vater?«
Jetzt wurde der Dekanin endlich bewusst, dass sie die Tasse absetzen wollte. »Worum geht es hier eigentlich? Hängt das irgendwie mit deiner Arbeit bei den UN zusammen?«
»Du hast mit Vater zusammen sogar Botschaftsrat Viktor Wladimirow getroffen, zweimal 1977. Er war immerhin der Chef der KGB-Filiale in Helsinki. Das Treffen fand vermutlich im Pub Angleterre statt, oder?«
»Wer behauptet so etwas, woher hast du solche … Lügen!« Kirsti Saurivaara sprang erregt auf.
»Ich habe das in authentischen Dokumenten des KGB gelesen. Meines Wissens besitzt auch die Polizei Kopien davon.« Kara bemühte sich, mitfühlend und entspannt zu wirken, es wäre ein Fehler, die Frau so einzuschüchtern, dass sie gar nichts mehr sagte. »Du wirkst ziemlich schockiert, ist bei diesen Begegnungen etwas geschehen, was … nicht hätte passieren dürfen?«
Kirsti Saurivaara setzte sich wieder hin und verdaute eine Weile, was Kara gesagt hatte. »Das ist diese Zeit der sogenannten Hausrussen gewesen. Wie das damals gelaufen ist, kannst du nicht verstehen. Wenn man in seiner Laufbahn vorankommen wollte, musste man mit den Sowjets auf gutem Fuß stehen. Die SUPO hat uns, alle Forscher des Tieftemperaturlabors, vor Anwerbungsversuchen des KGB gewarnt. Linie X wurde diese KGB-Truppe genannt, die damals wissenschaftlich-technische Spionage trieb, obwohl es nur zwei Mann waren, die sich um diese Dinge kümmerten – Botschaftssekretär Sergej Sidorow und der andere hieß meines Wissens Samarajew. Nach Ansicht der SUPO war bei denen zu der Zeit irgendeine spezielle Kampagne im Gange, bei der technische Informationen aus Finnland beschafft werden sollten, das war astreine Spionage. Die Technische Hochschule war natürlich eines ihrer wichtigsten Objekte, wenn nicht überhaupt das wichtigste.«
Sie schwieg und betrachtete prüfend die Nagelhaut an ihrem rechten Daumen. Kara wartete eine Weile und brach dann das Schweigen. »Warum habt ihr beide, du und Vater, euch mit Wladimirow getroffen?«
»Soweit ich mich erinnere, hatte die SUPO oder der damaligeRektor der TH empfohlen, die Einladung anzunehmen. Wie ich schon sagte, musste man Ende der Siebzigerjahre ein gutes Verhältnis zu den Sowjets haben, und Wladimirow war immerhin Botschaftsrat. Bei diesen Begegnungen wurde nichts Wichtiges besprochen, Wladimirow versuchte nur zu sondieren, in welche ideologische Richtung die beiden talentiertesten jungen Wissenschaftler der TH tendierten.«
Die lügt ja wie eine Wahrsagerin, dachte Kara, sagte aber: »Und was hat Wladimirow herausgefunden?«
»Deinen Vater interessierte außer seiner Arbeit nichts. Und ich …« Kirsti Saurivaara verstummte.
Kara beschloss, seinen stärksten Trumpf auszuspielen. »Du hast Botschaftssekretär Sidorow und andere KGB-Mitarbeiter zwischen 1977 und 1991 Dutzende, wenn nicht hunderte Male getroffen.«
Die Frau schaute Kara ungläubig an, jetzt wurde sie rot bis über die Ohren. »Sergej war meine … Privatangelegenheit. Wir haben uns angefreundet. Ich war nicht verheiratet und …«
Eine geschickte Notlüge, dachte Kara und sagte: »Ich bin nicht hierhergekommen, um Fragen zu dem zu stellen, was du früher gemacht hast. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du mir alles erzählen würdest, was du noch von meinem Vater weißt. Danach werde ich mich auch wieder mit seiner Vergangenheit beschäftigen und darin herumstöbern.«
Die Dekanin wirkte etwas entspannter, nun da es im Gespräch wieder um Aleksi Kara ging. »Ich wüsste nicht, was ich Neues über deinen Vater erzählen könnte. Er war ein
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