Rot
charismatischer Mann, ein Forscher mit Leib und Seele. Allerdings auch ein Workaholic der schlimmsten Sorte. Du wirst wohl kaum etwas über unsere Forschungsprojekte hören wollen.«
»Erzähle nur, ich habe keine Eile.«
Kirsti Saurivaara begann mit der Studienzeit, erläuterte genau, woran sie sowohl im Tieftemperaturlabor als auch im Physik-Institutzusammen mit Aleksi Kara gearbeitet hatte. Sie wusste auch einiges über die Jahre, in denen er in der renommiertesten Forschungseinrichtung der Welt tätig gewesen war, in den Bell Laboratories in New Jersey.
Leo Kara fand in der Zusammenfassung der Dekanin nichts, wo er hätte einhaken können. Schließlich unterbrach er sie: »Ich brauche Namen. Hatte mein Vater einen Betreuer, einen Hausrussen, hielt auch er Kontakt zu irgendeinem der Sowjets so wie du?«
»Ich war mit Sergej Sidorow liiert, er war kein …«
»Beantworte bitte nur die Frage«, fuhr ihr Kara ins Wort.
Kirsti Saurivaara runzelte die Stirn und zog die Lippen ringförmig zusammen. »Dein Vater und ich, wir waren Kollegen, gute Bekannte, aber wir sprachen nicht über private Dinge und haben uns nicht in der Freizeit getroffen. Zum Teil deswegen, weil dein Vater keine Freizeit hatte.«
»Sag mir Namen, dann verspreche ich, dich in Ruhe zu lassen«, sagte Kara.
Kirsti Saurivaara rieb sich das Kinn. »Bleibt das unter uns?«
Kara nickte.
»Ich habe seinerzeit gehört, dass dein Vater zweimal in Finnland war und Arkadi Timtschenko getroffen hat. Das ist 1989 gewesen, wenn ich mich recht entsinne.«
Kara war so überrascht, dass er nicht sofort verstand. »Wen?«
»Timtschenko. Einen russischen Ölmilliardär, der später die finnische Staatsbürgerschaft erhalten hat. Er ist sogar bei Forbes auf die Liste der Milliardäre gelangt.«
Von Timtschenko hatte Kara noch nie gehört. »Und weitere Namen?«
»Dann war da eine Bellamy. Dein Vater hat oft von ihr gesprochen, aber auch sie dürfte lediglich eine Kollegin gewesen sein.« Kirsti Saurivaara wühlte noch eine Weile in ihrem Gedächtnis, bis sie schließlich die Hände auf die Knie schlug. »Das ist alles. Wennes dich interessiert, hätte ich noch Zeit, dir zu zeigen, womit man sich hier im Tieftemperaturlabor herumschlägt.«
Es interessierte Kara. Er folgte Kirsti Saurivaara bis ans Ende des Flures, wo sie eine Drucktür aus Stahl öffnete.
»Das ist die Kryohalle, das heißt, das Forschungszentrum für ultratiefe Temperaturen. Davon gibt es weltweit nur etwa zehn«, erklärte sie stolz und führte Kara zu einem über zwei Meter hohen Gerät mit vier dominanten weißen Säulen. »Das ist ein rotierender Kryostat oder Atomkühler, das Gerät, mit dem versucht wird, die extrem niedrigen Temperaturen zu erreichen.«
»Ich hätte es mir größer vorgestellt«, sagte Kara.
Kirsti Saurivaara lachte. »Der größte Teil der dazugehörigen Maschinen und Anlagen befindet sich dort hinter der Wand.« Sie zeigte in die Richtung und kehrte dann zum Mittelgang der Kryohalle zurück.
Als nächstes betraten sie einen kleinen Lagerraum voller Maschinen, Geräte, Messeinrichtungen und Werkzeuge. »Hier befindet sich …«, konnte Saurivaara noch sagen, dann fiel die Tür hinter Kara krachend ins Schloss. Gleichzeitig hörte man ein metallisches Poltern, als irgendetwas Schweres zu Boden fiel.
Kirsti Saurivaara schaute auf die Flüssigkeit, die aus dem umgefallenen Behälter auf den Betonfußboden lief, hielt sich die Hand vor den Mund und blies die gerade eingeatmete Luft durch die Nase wieder aus. »Flüssiger Stickstoff ! Der wird sofort zu Gas. Nicht atmen!« Sie stieß Kara weg von der Stickstoffpfütze und griff mit rotem Gesicht nach der Türklinke – abgeschlossen. Hastig schaute sie sich in dem Raum um. »Das Fenster ist die einzige Chance«, ächzte sie, atmete ein und sackte sofort zusammen, mitten in die Stickstofflache.
Kara verstand nicht, worum es ging, aber ihm war klar, dass er hier raus musste. Er hielt den Atem an, die Lunge brannte. Dann nahm er den nächstgelegenen schweren Gegenstand, einen glänzenden Metallklumpen, vom Werkzeugtisch und schlug mit allerKraft gegen das Plexiglas des Türfensters. Das Metallstück prallte zurück wie von einer Gummiwand. Er war gezwungen einzuatmen, holte tief Luft und spürte ein Schwindelgefühl. Rasch packte er einen Hammer, schlug mit der spitzen Seite ein-, zwei-, dreimal gegen das Fenster und brachte einen Riss zustande. Der vierte Schlag, der fünfte, er musste Luft holen und taumelte. Im
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