Rot
Kopf drehte sich alles, als er den Hammer gegen die Scheibe wuchtete, die sich nun endlich an einer Seite aus dem Rahmen löste. Kara stieß das Plexiglas hinaus und schnappte nach Luft … Dann wurde ihm schwarz vor Augen, die Knie knickten ein und er stürzte mit dem Gesicht voran in die Fensteröffnung.
* * *
Im Rosengarten der Villa am Rande von Torquay im Südwesten Englands spritzte Blut. Betha Gilmartin fluchte und steckte den Zeigefinger in den Mund. Der Sommer war so warm gewesen, dass die scharlachroten und stark duftenden Damaszener Rosen jetzt im Herbst schon das zweite Mal blühten. Bei dem Gedanken, dass die Römer dieselbe Sorte schon vor etwa zweitausend Jahren gezüchtet hatten, kam sie sich auf gesunde Weise ziemlich unwichtig vor.
Sie richtete sich auf, schaute in Richtung Torbay-Bucht und genoss den Seewind der englischen Riviera, der ihr Haar durcheinanderwirbelte. Es roch nach Meer, die Möwen kreischten und die Luft an diesem Vormittag war feucht. In den Medien überschlugen sich die Nachrichten vom Chaos auf dem amerikanischen Kontinent durch die Zerstörung der Nachrichtensatelliten und ließen sie das erste Mal nach langer Zeit wieder an die Arbeit denken. Eine Bekannte hatte am Morgen angerufen, sie machte sich Sorgen um ihre Tochter, die auf einer Kreuzfahrt in der Karibik unterwegs war.
Ihr kam es so vor, als wäre seit dem Herzanfall und der Operationeine Ewigkeit vergangen, dabei machte sie mit Albert erst seit knapp zwei Monaten hier Urlaub. Sie arbeitete schon fast drei Jahrzehnte im Auslandsnachrichtendienst SIS, so lange, dass sie vollkommen vergessen hatte, wie es war, wenn man sich wochenlang auf seinen Lorbeeren ausruhte. Nur einige wenige dienstliche Anrufe hatte es gegeben – zu ihrer Überraschung war sie anscheinend nicht unersetzlich, trotz ihrer Stellung als stellvertretende Chefin des SIS. Und sie verspürte nicht einmal mehr Sehnsucht nach der hektischen Atmosphäre im SIS, auch das erstaunte sie. Vielleicht war sie allmählich bereit für die Rente.
»Betha! Telefon. Das Legoland ist dran«, rief Albert aus der Villa.
Als könnte man im Hauptquartier des SIS Gedanken lesen, überlegte Betha. Aber so weit war die Technik dann doch noch nicht. Nieselregen setzte ein. Sie betrat ihre zweistöckige weiße Villa durch die Küchentür, zog die Gummistiefel aus, ging in ihr Arbeitszimmer und griff nach dem Hörer. Es war eine geschützte Verbindung.
»Du wirst hier dringend gebraucht, wie geht es dir?«, fragte der Chef des SIS Sir Anthony Richardson.
»Was ist passiert?«
»Verfolgst du die Nachrichten nicht?«
Betha wurde klar, dass es um die zerstörten Satelliten ging. »Warum übernimmt das Clive Grover nicht, er vertritt mich doch wohl weiterhin?«
Sir Anthony schwieg einen Augenblick. »Der MI5 wusste schon im August, dass es im britischen Sicherheitsapparat einen Maulwurf gibt, du erinnerst dich sicher. Er wurde bei uns im SIS gefunden – Clive Grover. Der MI5 beginnt gerade mit den Verhören.«
Betha verschlug es die Sprache. Eine noch größere Katastrophe konnte man sich nicht einmal vorstellen. Als Leiter der Abteilung für Aufklärungsoperationen besaß Grover eine Sicherheitseinstufung,die ihm schon seit Jahren den Zugang selbst zum geheimsten Material des SIS erlaubte. Wie viele Informationen hatte er verraten? Und wie lange schon?
»Die Zeit meiner Krankschreibung ist fast zu Ende. Ich rufe meinen Arzt an und komme sofort, falls … sobald ich die Erlaubnis erhalte«, sagte Betha und beendete das Gespräch. Sie spürte ihr Herz heftig schlagen, aber nun brauchte sie nicht mehr auf den Pulsmesser zu schielen und Entspannungsübungen zu machen, um ihren Puls unter Kontrolle zu halten. Die Operation war bestens gelungen. Der Herzanfall im August hatte den Chirurgen gezwungen, das Loch in der Wand zwischen den Herzkammern zu schließen, jenen Defekt, der ihr Leben von Geburt an beeinträchtigt hatte. Auch das vom Arzt verordnete achtwöchige Reha-Programm war schon fast abgeschlossen, sie hatte sich in der letzten Zeit so viel bewegt wie seit ihren Mädchenjahren nicht mehr. Sie war buchstäblich in der Form ihres Lebens.
Eine Autofahrt von Torquay in der Grafschaft Devon ans Südufer der Themse in London dauerte im schlimmsten Fall etwa vier Stunden, aber mit einem Hubschrauber Eurocopter EC145 der Polizei von Devon und Cornwall brauchte man nur eine reichliche Stunde. Betha Gilmartin beobachtete durchs Fenster, wie sich der Helikopter dem an eine
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