Rot
Auftakt für einen Wandel in der Sowjetunion hin zum Besseren, zu einem freien Staat, in dem die Gleichberechtigung aller Bürger tatsächlich in der Praxis verwirklicht wurde. Amüsiert erinnerte er sich daran, dass er so naiv gewesen war, sich einzubilden, er könnte dem KGB nur solche Informationen weitergeben, die Großbritannien nicht schadeten. Knallhart war er in die Zange genommen worden, und nach 1991 hatten die Erben des KGB die Daumenschrauben noch weiter angezogen.
Er hatte sein ganzes Privatleben der Arbeit geopfert und sich immer weiter von seinen Kindern und seiner Frau entfernt. Ausgerechnet jetzt, wo das Ziel von Mundus Novus in wenigen Monaten erreicht sein würde und seine Freiheit in greifbare Nähe rückte, hatte man ihn erwischt.
Plötzlich ging die Tür auf und zwei Männer in dunklem Anzug traten ein, die Grover nicht kannte. Der jüngere von beiden war groß und sah freundlich aus, der andere war um die fünfzig, klein und wirkte mürrisch. Der junge Mann legte ein Dreiecks-Sandwich auf den Tisch, die Folie der Verpackung war geöffnet, der andere knallte eine halbvolle Flasche hin, in der das Wasser schwappte.
Grover versuchte zu lächeln. Er hatte nun wirklich nicht die Absicht, irgendetwas in den Mund zu stecken, schließlich wusste er ganz genau, mit welchen Mitteln The Box die Leute manipulierte, die verhört werden sollten. Wegen der öffentlichen Kritik an der brutalen Behandlung von Terrorverdächtigen hatte der MI5 in den letzten Jahren auf Folter verzichten müssen, deshalb probierten sie jetzt neue, einfallsreichere Methoden aus.
»Was ist da drin?« Grover deutete mit dem Kopf auf das Sandwich und die Wasserflasche. »Der Norovirus, die Listeria, Salmonellen …« Gelegentlich ließ der MI5 Verdächtigte krank werden, das schwächte ihren Zustand genau wie Prügel.
»Die sind sauber. Dich müssen wir ein wenig anders behandeln als die … normalen Gefangenen.«
»Die Sache auf der Metrostation Victoria war anscheinend nicht euer Werk. Wisst ihr, wer mich da erledigen wollte?«, fragte Grover.
Die beiden Männer schauten sich kurz an. »Du wurdest nicht physisch observiert. Wir haben die Situation im Nachhinein mit den Bildern der Überwachungskameras rekonstruiert.«
Grover dachte einen Moment nach. »Unter welchem Verdacht stehe ich?«
»Unter keinem«, erwiderte der Ältere und lachte. »Wir haben nämlich lückenlose Beweise für deinen Kontakt mit den Russen. Du hast den Zweiten Botschaftssekretär Wassili Golowkin von der russischen Botschaft in London letztes Jahr sechzehnmal getroffen. Wir hätten dein Treiben gern noch ein paar Monate beobachtet und dann zugeschlagen und alle geschnappt, mit denen du Kontakt hältst.«
»Wie lange habt ihr mich schon in Verdacht?« Grover versuchte herauszufinden, wie viel der MI5 wusste. Er bekam keine Antwort. »Was passiert jetzt? Was schlagt ihr vor?«
»Wenn wir dich wieder rauslassen, legen die Russen dich um. Wir können aber auch dafür sorgen, dass du verurteilt und eingesperrtwirst. Vielleicht wäre das Gefängnis von Belmarsh am geeignetsten, dort könntest du einige deiner alten Bekannten wiedertreffen: Abu Hamza al-Masri und Ahmed Abdullah Ali. Spätestens nach einer Woche hätte man dich umgebracht. Oder das Gefängnis von Long Lartin. Möglicherweise würde ›Osama bin London‹ dort auch dich zu einem Selbstmordattentäter machen, so wie die muslimischen Jugendlichen in seinem Rekrutierungslager in der Seenlandschaft von Cumbria.«
»Und wenn ich kooperiere?«, schlug Grover vor.
»Bestenfalls stehst du dann unter Hausarrest und kommst in eins der Überseegebiete – auf die Bermudas oder die Jungferninseln …«
»Ich überlege es mir«, antwortete Clive Grover.
»Mach das, nimm dir ruhig Zeit. Ich kann ja mit Thiopental ein wenig nachhelfen, wir müssen alle unser Bestes tun«, sagte der ältere Mitarbeiter des MI5 und schaute zu, wie sein Kollege einen kleinen Metalltisch hereinrollte, auf dem alle möglichen sehr speziellen Instrumente glänzten.
* * *
Leo Kara wusste nicht, ob er wach war oder träumte. Er sah eine Frau im weißen Kittel, Klasu Nyman von der KRP und einen Mann mit einem Walrossbart, war aber nicht imstande, den Mund aufzumachen. Die drei neugierigen Gesichter schwebten über ihm, ihre Bewegungen wirkten gemächlich, wie in Zeitlupe. Dann wurde es um ihn herum dunkel und er konnte nicht mehr denken …
»Na, jetzt ist er wach«, sagte die Ärztin im weißen Kittel.
Kara starrte die
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