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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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konnte doch nicht so einer Tat zum Opfer fallen. Sie war doch ein ganznormaler Mensch. Viel zu viel gab es noch zu tun. Erst in den letzten Jahren, mit zunehmendem Alter, hatte sie allmählich verstanden, wie es sich zu leben lohnte: gelassen und mit Genuss. Und das tun, was ihr Spaß machte, nicht das, was andere von ihr erwarteten. Ihr Leben stand erst am Anfang.
    Plötzlich trat der Mann lautlos neben sie. Er kauerte sich einen Meter von seinem Opfer entfernt hin und beobachtete in aller Ruhe ihren Gesichtsausdruck. »Ich entferne jetzt den Knebel, stopfe ihn aber sofort wieder hinein, wenn du schreist«, sagte er schließlich in Englisch mit starkem Akzent. Er zog den feuchten Pfropfen aus ihrem Mund, nahm einen Hocker und setzte sich.
    »Ich stamme aus Kirgisien. Kennst du das Land?«
    Eeva Vanhala war zu einer Antwort nicht fähig.
    »Es liegt in Mittelasien zwischen dem heutigen Nordwestchina und Südkasachstan, dort leben die Steppenkrieger – die Kirgisen. Mein Volk hat immer wieder gegen die brutalsten Armeen der Welt gekämpft, von den Dynastien Chinas und der Mandschurei bis hin zu den Mongolen. Viele von uns wohnen nach wie vor in Jurten und hüten Schafe und Yaks.«
    Er beugte sich zu ihr hin und fuhr fort: »Du solltest das Nationalepos der Kirgisen lesen – Manas . Das ist zufällig auch mein Name. Das Buch erzählt von den Kriegen der Kirgisen gegen die Chinesen, Perser, Mongolen und Oiraten in den Steppen und Gebirgen Asiens. In dem Buch kommen Riesen, Wunder vollbringende Derwische und Ungeheuer vor, und am Ende führt Manas sein Volk aus der Verbannung im Altai zurück in die Urheimat im Alatau-Gebirge.«
    Der Kerl war ja wahnsinnig, total verrückt, überlegte Eeva Vanhala. Sie wagte es nicht, den Mund aufzumachen und wollte nicht einmal daran denken, was als Nächstes geschehen würde.
    »Du fragst dich bestimmt, was deinen Kopf so einschnürt«, sagte Manas. »Das ist feuchtes Kamelleder. Der Gestank tut mir leid. Als damals die mongolischen Khane in Mittelasien wüteten,haben wir Kirgisen diese Foltermethode bei Kriegsgefangenen angewendet. In der Steppe ließ man die Opfer allerdings in der Sonne sitzen, wir müssen uns hier mit einer UV-Lampe begnügen. Ich habe deine Haare geschoren, das Leder angefeuchtet und straff um deinen Kopf gebunden. Wenn die Lampe das Leder trocknet, schrumpft es, spannt sich und spannt sich immer straffer, bis es knacks macht und die Schädelknochen, Ossa Cranii , brechen.«
    Ein Schrei entfuhr Eeva Vanhala, sie konnte es nicht verhindern, wollte aber auch nicht aufhören, hörte es denn niemand …
    Manas stopfte den nassen Lappen in ihren Mund und setzte sich wieder auf den Hocker. »Ich will eine Antwort auf zwei Fragen. Nur zwei. Wenn deine Antworten befriedigend sind, nehme ich das Kamelleder herunter. Wenn nicht, gehe ich ein paar andere Dinge erledigen und kehre …«, er prüfte mit der Hand, wie feucht das Leder war, »in zwei Stunden zurück. Bis dahin sind deine Stirn- und Schläfenknochen wahrscheinlich noch nicht gebrochen.«
    Eeva Vanhala schloss die Augen, ein winziger Hoffnungsfunke flackerte auf. Vielleicht durfte sie doch weiterleben.
    Manas beugte sich vor. »Beginnen wir mit der leichteren Frage. Hat Leo Kara das Smirnow-Material gelesen?« Er riss ihr den Knebel aus dem Mund.
    »Nein. Niemand hat es gesehen. Ich habe nur einige Dokumente offengelegt, auf deren Grundlage wurde eine Zusammenfassung geschrieben.«
    Manas stand auf, ging zum Tresor im Schlafzimmer und kehrte mit einigen Unterlagen zurück. »Sind die das?«
    Eeva Vanhala nickte.
    »Das hat ja ausgezeichnet geklappt. Dann die nächste, wichtigere Frage. Wo ist das Smirnow-Material?«
    Eeva Vanhala zögerte nicht eine Sekunde. »Im Hauptquartier der KRP in Vantaa.«
    Manas verzog keine Miene. »Erklär mir das.«
    Eeva Vanhala atmete tief durch, bevor sie zu reden begann. »Als die Polizei im August die Ermittlungen gegen das Kabinett aufnahm, fürchtete ich, sie findet heraus, dass ich das Smirnow-Material kopiert hatte. Hätte ich es in den Tresor gelegt oder irgendwo versteckt, dann würde ich die Stelle in so einer Situation wie dieser garantiert verraten und … Ich musste mir einen Aufbewahrungsort ausdenken, wo nicht jeder Beliebige das Material abholen könnte … Natürlich habe ich an ein Bankschließfach gedacht, aber auch dorthin könnte jemand … wie du mitkommen, die geladene Waffe in der Hosentasche, und mich zwingen, das Material zu holen, woher weiß ich denn

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