Rot
befindet sich auf der Hämeentie, in der Kurve.«
Saara Lukkari lächelte und nickte. »Ich habe die Zusammenfassung Jussi Ketonen gezeigt, als wir bei der Überprüfung der Informationen, die sie enthält, in eine Sackgasse gerieten. Jussi war schließlich lange Chef der SUPO und hat schon 1972 im Haus angefangen. Es gibt keinen einzigen Polizisten, der mehr über die SUPO weiß. Oder über die Beziehungen einflussreicher finnischer Persönlichkeiten zum KGB.«
»Das wage ich zu bezweifeln«, erwiderte Kara, obwohl er voller Interesse darauf wartete, was Lukkari zu erzählen hatte.
»Du hast gesagt, dass diese Originaldokumente, die du gesehen hast, ein bestimmtes Kennzeichen trugen. Nach Ketonens Ansicht ist das die Signatur des persönlichen Archivs von Eero Kekomäki gewesen, der ab 1990 bis 1996 Leiter der SUPO war. Die Unterlagen, die du in der Hand hattest, sind Teil einer umfangreicheren Dokumentensammlung, des sogenannten Smirnow-Materials. Das war so brisant, dass es nicht einmal im Archiv der SUPO aufbewahrt wurde. Über seine Existenz darf offiziell immer noch nicht gesprochen werden … aus bestimmten Gründen.«
»Und wie hilft mir das weiter?«, sagte Kara in schroffem Ton.
»Ich habe Ketonen erzählt, dass dein Vater am Leben ist. Das hat ihn anscheinend sehr überrascht. Hast du ihn jemals nach deinem Vater gefragt?«
»Nein.«
»Vielleicht solltest du das tun.«
»Was ist das Smirnow-Material?«, wollte Kara wissen.
»Ein Stapel geheimer Dokumente über Finnland, die im Archiv der Kommunistischen Partei der Sowjetunion kopiert wurden.«
12
Donnerstag, 6. Oktober
Kati Soisalo betrachtete das Unicef-Plakat an der Wand ihrer Kanzlei in Hietalahti – Stoppt den illegalen Kinderhandel . Das Mädchen mit dem verweinten Gesicht war ungefähr so alt wie Vilma jetzt. Sie weigerte sich, daran zu denken, was entführten kleinen Mädchen im schlimmsten Falle angetan werden konnte, und hoffte vielmehr von ganzem Herzen, dass sich jemand fürsorglich um Vilma kümmerte. Dass ihr kleiner Schatz jemanden hatte, zu dem sie Mutter und Vater sagte. Dass Vilma die Möglichkeit erhielt, zu einem ausgeglichenen Menschen heranzuwachsen. Ob das möglich war nach all dem, was das Kind hatte erleben müssen, das wusste sie nicht.
Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als ihr Ukkolas überraschendes Eingeständnis einfiel, nicht Vilmas Vater zu sein. Kati Soisalo schämte sich. Ein gutes Elternhaus bot keine Garantie dafür, dass der Weg vom Kind bis zum Erwachsenen glatt und gerade verlief, dafür war sie selbst der lebende Beweis. Sie hatte in ihrer ganzen Jugend rebelliert: Mit dreizehn hatte sie in Hämeenlinna im Kirchpark Bier getrunken und war mit einem drei Jahre älteren Berufsschüler gegangen. Und am Gymnasium war es noch schlimmer geworden, sie hatte Gras geraucht, ständig wechselnde Beziehungen gehabt und öfter mal eine Nacht nicht zu Hause verbracht. Etwas ruhiger war sie erst geworden, als Mutter ihre Kleidung in Koffer gepackt und verlangt hatte, sie solle ihre Sachen woandershin bringen, wenn sie ohnehin nicht daheim übernachtete. Eigentlich war sie gar nicht ruhiger geworden, sondern hatte sich nur den Regeln angepasst. Während des Studiums brauchteman sich dann nicht mehr an Regeln zu halten: Sie war auf allen Partys der studentischen Fachschaft und Landsmannschaft gewesen, im Nachtklub Kalle jeden Donnerstag und auch im Tavastia-Club, immer, wenn es ihre Finanzen zuließen. Als sie später arbeiten ging und mit einem Partner zusammenlebte, wenn auch meist nur für kurze Zeit, konsolidierte sich ihr Lebenswandel etwas, aber richtig geändert hatte sie sich erst durch Vilma.
Deren Aussehen bot keinen Anlass für Zweifel an Ukkolas Vaterschaft, und sie war auch nicht auf die Idee gekommen, dessen zunehmend gemeiner werdendes Verhalten und ihre Schwangerschaft miteinander in Verbindung zu bringen. Sie hatte nie auch nur daran gedacht, dass Ukkola nicht Vilmas Vater war. Vielleicht hatte ihr Unterbewusstsein diese Möglichkeit genau so verdrängt wie all ihre früheren Beziehungen. Sie war nicht stolz auf ihr chaotisches Verhalten in der Jugend, hielt es aber für sinnlos, sich deswegen noch zu grämen. Jeder wurde auf seine Weise erwachsen. Ende gut, alles gut – sie sollte eigentlich froh sein, dass Jukka Ukkola nicht Vilmas Vater war.
Hoch oben in der Birke hat der Buchfink sein Nest gebaut, tirili tirila … Kati Soisalo hörte Vilmas Gesang wie ein Flüstern, stand auf und
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