Rot
Männern dominierten Einrichtung Erfolg zu haben, musste eine Frau mindestens so knallhart sein wie die Männer. Sie selbst war es ja auch.
Die Tür ging auf und der Leiter der Abteilung Unterstützungsprozesse trat völlig außer Atem ein. Der ziemlich kleine Mann trocknete sich mit dem Taschentuch erst die Stirn und putzte dann die Gläser seiner massiven Brille.
Betha Gilmartin überlegte, ob der Mann, den sie als Nachfolger Grovers bei der Leitung der Ermittlungen zu Mundus Novus ausgewählt hatte, in seiner neuen Aufgabe dem Druck gewachsen sein würde. Seine Stirnfalten waren anscheinend dauerhaft, die Bartstoppeln von gestern, die Augen blutunterlaufen und das weiße Hemd unter den Achseln feucht. »Ich wollte noch mehr über den Eigentümer der Trägerrakete hören, die diese Katastrophe ausgelöst hat. Das Konsortium setzt sich also aus drei Unternehmen zusammen, von denen eins die deutsche Velum Raumfahrttechnik ist.«
»Und die Velum ihrerseits befindet sich im Besitz des österreichischen AEM-Konzerns oder genau genommen einer der Dutzenden Holdinggesellschaften, die zu dem Konzern gehören«, erklärte der schwitzende Abteilungsleiter. »Der AEM-Konzern besitzt über Mittelsmänner auch zwei Industrieimmobilien, von denen wir wissen, dass Mundus Novus sie genutzt hat. Allerdings zählt AEM zu den größten Immobilieninvestmentunternehmen im deutschsprachigen Mitteleuropa, da ist das nicht sehr verwunderlich. Der Konzern ist Eigentümer von hunderten Immobilien sowohl in Österreich, Deutschland als auch in der Schweiz und außerdem besitzt er Anteile an zahlreichen anderen Investmentfirmen dieser Branche, denen ihrerseits tausende Immobilien fast überall in der Welt gehören. Die Ableger dieser verzweigten Unternehmensgruppe lassen sich nicht so schnell herausfinden.«
»Es muss ja wohl bei AEM jemanden geben, der weiß, was ihnen alles gehört.« Betha Gilmartin erreichte allmählich ihre Betriebstemperatur.
»Aber natürlich. Wir haben von den deutschen Behörden schon eine Zusammenfassung mit mehreren hundert Seiten zum Eigentum des AEM-Konzerns erhalten. Es wird längere Zeit in Anspruch nehmen, sie durchzugehen.«
»Und die Ermittlungen zu Mundus Novus?«, fragte Betha Gilmartin.
Die Miene des Abteilungsleiters hellte sich auf und für eine Weile glätteten sich sogar seine Stirnfalten. »Du erinnerst dich bestimmt an das Industriegebäude in Northumberland? Das, wo im August die Laserwaffe montiert wurde, die dann den chinesischen Satelliten zerstörte. Die Arzneimittelfabrik Sanofar Alnwick war nicht etwa der Besitzer dieser Immobilie, sondern hatte sie nur gemietet.«
Betha Gilmartin stand ruckartig auf, und es scherte sie einen Dreck, dass ihr Bauch sich über den Gürtel wölbte, als wäre sie im sechsten Monat.
Doch der Mann fuhr schnell fort, noch bevor sie ihn anschnauzen konnte. »Die Immobilie befindet sich im Besitz einer Investmentfirma, die auf der Insel Guernsey registriert ist und zum AEM-Konzern gehört.«
Betha Gilmartin reckte triumphierend die Faust in die Höhe. »Das ist die erste nachprüfbare heiße Spur, die von Mundus Novus in den letzten zwanzig Jahren gefunden wurde. Jetzt ermitteln wir gegen AEM mit allen verfügbaren Ressourcen. Ihr habt freie Hand.«
Colleen Carter erhob sich, blieb aber an der Tür stehen. »Ich weiß nicht, ob das von Bedeutung ist, aber ich habe spaßeshalber mal nachgesehen, was der Name dieser zerstörten Trägerrakete, Girmand, bedeutet. Das war eines von Amerigo Vespuccis Schiffen auf seiner zweiten Forschungsreise nach Südamerika von 1499 bis 1500.«
Betha Gilmartin schüttelte den Kopf und bedeutete Colleen Carter, sie könne gehen. Auch die von Leo Karas Vater geleitete Forschungsgruppe und Mundus Novus selbst waren nach Amerigo Vespucci benannt. Anscheinend war hier nichts Zufall.
* * *
Nadine Egger blieb in der Herrengasse stehen, die sich innerhalb des alten Wiener Stadtmauerrings befand. Sie war die etwa zwei Kilometer von ihrer Kneipe Hansy bis hierher zu Fuß gegangen, um unterwegs all ihren Mut zusammenzunehmen. Wenn sie doch Leo Kara zur Unterstützung an ihrer Seite hätte. Sie zündete sich eine Zigarette an und betrachtete nervös den dreihundert Jahre alten Palast im Stil des Spätbarock, an dessen Fassade in Riesenlettern die Aufschrift AEM -Konzern prangte. »Anton Ernst Moser.« Nadine sagte den Namen ihres Vaters vor sich hin. Sein Büro befand sich im obersten Stockwerk des hohen, reich verzierten Gebäudes,
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