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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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dann anders überlegte? Hilfe bekäme er von der FSB-Filiale in Helsinki, wenn er es wollte.

14
    Donnerstag, 6. Oktober
    Clive Grover saß mit Handschellen an einen Metallstuhl gefesselt in einem Safehouse des MI5 und spürte den Geschmack von Erbrochenem im Mund. Und er hatte sich in die Hosen gemacht. Die Wirkung der Thiopental-Injektion ließ allmählich nach, er sah den kargen Raum ohne Einrichtungsgegenstände, aber in seinem Kopf drehte sich alles, er musste die Augen schließen. Grover erinnerte sich nur an einen Teil dessen, was er, betäubt von der Spritze, beim Verhör erzählt hatte. Jedenfalls war es vermutlich nicht alles gewesen. Er wusste kaum selbst noch, warum er den Russen in den letzten zwanzig Jahren nahezu jede ihm zugängliche, als geheim eingestufte Information weitergereicht hatte. Die Leute vom MI5 hatten garantiert gelacht, sollte er ihnen erzählt haben, dass er ursprünglich nur dem Schwächeren helfen wollte, als Ende der Achtzigerjahre der Zusammenbruch der Sowjetunion immer wahrscheinlicher wurde. Grover war damals der Ansicht gewesen, das von den USA geführte kapitalistische Lager brauche eine Gegenkraft, und vielleicht hatte er gehofft, dass der Ostblock bestehen blieb, um so seinen Arbeitsplatz zu sichern. Geld hatte er auch gebraucht. Jemand musste ja die Schulden für das Haus seiner Eltern bezahlen, nachdem sein Vater an Staublunge erkrankt war.
    Sein Kopf sackte auf die Brust und er schreckte aus dem Sekundenschlaf hoch. Er durfte nicht einschlafen, sie würden sofort kommen und ihn mit leichten Schlägen wieder wecken, er musste sein Gehirn beschäftigen. Sein eigener Gestank stieg ihm in die Nase und er erinnerte sich an die erste Zeit seiner Laufbahn als Landesverräter. Anfangs hatte er ein ungeheueres Machtgefühlempfunden, wenn er geheime Informationen verriet, er hatte sich eingebildet, allein große Dinge zu bewirken. Doch allmählich war ihm bewusst geworden, dass er sich wegen seiner Taten allzu sehr allein fühlte, und die Freude an der Macht verschwand. Er hatte den Einsatz erhöhen müssen und noch wichtigere Informationen übergeben, und schließlich war er immer mehr von diesem Strudel erfasst worden, bis er den Russen alles übermittelte, was ihm in die Hände kam.
    Plötzlich öffnete sich eine der Türen und Grover atmete die hereinströmende frische Luft gierig ein. Jetzt ging es wieder los. Dieselben Beamten würden ihn weiter verhören: der große und freundliche junge Mann und der kleinere und mürrische Fünfzigjährige.
    »Wir haben ein kleines Problem«, sagte der Kleinere, nachdem er Zeitungen auf das Erbrochene geworfen hatte. »Dein Betreuer Wasili Golowkin hat nur einen geringen Teil der Informationen, die du ihm verraten haben willst, an seine Vorgesetzten in Moskau weitergegeben.«
    »Erstaunlich, dass es so viele waren«, erwiderte Grover.
    Die beiden Mitarbeiter des MI5 schauten sich an. »Erklär uns das.«
    »Ich arbeite nicht für die russischen Nachrichtendienste, weder für den FSB oder den SVR noch für den GRU. Ich habe die Informationen an die Silowiki übergeben, die wirklichen Machthaber Russlands. Allerdings sind viele von ihnen beim FSB oder GRU beschäftigt, wie ihr sehr wohl wisst.«
    Es dauerte einige Zeit, ehe die Männer vom MI5 ihre nächste Frage formuliert hatten. »Und wem haben die Silowiki die von dir stammenden Informationen übermittelt? Was haben sie mit ihnen gemacht?«
    »Genau das ist die Kernfrage dieses Verhörs oder aus meiner Sicht dieses Handels.«
    Der jüngere Mann lachte. »Du weißt sehr gut, dass wir die Antwort früher oder später aus dir herausholen.«
    »Vielleicht einen Teil der Informationen, aber ihr werdet wohl kaum alles herausbekommen, zumindest nicht den logischen Zusammenhang des Ganzen. Diese Angelegenheit ist vorsichtig ausgedrückt kompliziert, und ich kenne nur Teile davon.«
    »Was für eine Angelegenheit?«, fragte der Jüngere.
    »Ich verlange keinerlei Extras, nur das übliche Paket: eine bescheidene Wohnung am Strand, am liebsten wären mir die Bermudas, eine neue Identität, Bewachung rund um die Uhr und ein angemessenes Girokonto.«
    Die beiden schauten sich an.
    »Ihr müsst sicher mit den Chefs der Box darüber reden«, sagte Grover.
    * * *
    Betha Gilmartin schaltete den Fernseher aus, als in der Sendung von Sky News ein kleiner Junge um seine Schwester weinte. Die Nachrichtenkanäle schlachteten die Katastrophen in Amerika schamlos aus, verdammte Parasiten. Sie griff nach dem

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