Rot
seit der Flucht aus seinem Haus von ihm angenommen, obwohl er anfangs versucht hatte, sich durch Bestechung einen Weg in ihr Leben zu bahnen. Auch die Kneipe Hansy hatte sie mit einer von ihrer Tante geerbten Summe und einem Bankkredit gekauft.
Schluss mit dem Zögern und Zaudern! Sie hatte für Bruno so viele Opfer gebracht, dass sie nun nicht tatenlos zuschauen wollte, wie das Leben des Jungen ruiniert wurde. Entschlossen trank sie ihren Kaffee aus, ging zum Büropalast ihres Vaters und meldete sich am Empfang im Foyer an. Man führte sie zu einem antiken Sofa, wo sie Platz nehmen und warten sollte. Sie hatte einen trockenen Mund und Lust auf eine Zigarette. Interessiert betrachtete sie die Fresken an den Wänden und der Decke des Palastes und die Skulpturen, die das Treppengeländer schmückten. Es verging eine Viertelstunde und noch eine zweite, Nadine stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Und wenn Vater sie nun gar nichtempfing ? Der Gedanke schoss ihr jetzt das erste Mal durch den Kopf.
Als sie Marliese kommen sah, beruhigte sie sich. Sie umarmten sich und wechselten ein paar Worte. Die freundliche Frau hatte schon in den neunziger Jahren bei Vater als Sekretärin gearbeitet, anscheinend trug sie noch immer denselben weißen Seidenschal.
Marliese öffnete die gewaltige Doppeltür zu Vaters Arbeitszimmer, Nadine trat ein und sah ihren Vater, der mit ernster Miene am Schreibtisch saß. Auch darauf war sie nicht vorbereitet: Was zum Teufel sollte sie denn eigentlich sagen? Müsste sie ihm die Hand geben? Umarmen wollte sie ihn jedenfalls nicht. Abgesehen von den graumelierten Schläfen hatte sich Vater erstaunlich gut gehalten. Natürlich war er oft in Zeitungen und in TV-Sendungen zu sehen, aber wie er nun leibhaftig vor ihr saß, wirkte er bedeutend jünger. Ihr grobknochiger Vater mit seinem breiten Kinn und den kleinen Augen.
Anton Moser brach das Schweigen. »Bist du wegen deines Sohnes gekommen?«, fragte er und forderte seine Tochter mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Seine Miene blieb ausdruckslos, und er machte keinerlei Anstalten, sie zu begrüßen.
Nadine war so verdutzt, dass es ihr die Sprache verschlug. Woher wusste Vater von Brunos Problemen, überwachte er sie immer noch, nach all den Jahren?
»Keine Sorge, ich habe nicht in deinen Angelegenheiten herumgeschnüffelt. Das mit deinem Sohn habe ich von einem Geschäftspartner gehört.«
»Er heißt Bruno«, erwiderte Nadine. »Er ist achtzehn und steckt schlimm in der Klemme.«
»Du hast schon mit sechzehn bis zum Hals im Schlamassel gesteckt. Oder sollte man besser sagen bis zur Gebärmutter.«
Das Gespräch lief sofort in eine völlig falsche Richtung, begriff Nadine. Schließlich erinnerte sie sich noch sehr gut, wie ihre Streitereien seinerzeit immer angefangen hatten – mit Sticheleien. Siesetzte sich in den Sessel und versuchte ohne Erfolg, sich zu entspannen.
»Du scheinst wirklich verzweifelt zu sein, wenn du dich so demütigst und zu mir kommst«, sagte Anton Moser.
Nadine hatte urplötzlich das Gefühl, dass sie nicht einmal ansatzweise auf dieses Treffen vorbereitet war. »Ich will gleich zur Sache kommen. Irgendwann in der Zukunft werde ich von dir eine ziemlich große Summe erben, ob du das willst oder nicht, den Pflichtteil kann man nicht per Testament anderen vermachen. Ich wollte dir vorschlagen, dass …«
Anton Moser unterbrach seine Tochter: »Erben wirst du nur, wenn ich bei meinem Tode etwas besitze. Juristen wird es ein Leichtes sein, meine Vermögensangelegenheiten so zu regeln, dass du keinen Pfennig bekommst.«
Nadine war schockiert. Dass dieses Gespräch nicht einfach werden würde, hatte sie erwartet, aber Vaters Einstellung war ja geradezu feindselig. Sie stand auf. »Es war eindeutig ein Fehler, hierher zu kommen.«
»Warte«, befahl Anton Moser. »Du hast dir doch wohl nicht eingebildet, du könntest nach zwanzig Jahren einfach so hierein spazieren, um Geld für deinen Junkie-Sohn bitten und dann, die Taschen voller Bargeld, wieder abziehen? Ich habe den Jungen ja nicht einmal gesehen. Bist du verrückt?«
»Soll ich betteln? Oder versprechen, dass ich künftig Kontakt zu dir halte? Mach dich mal nicht lächerlich. Ich will weiter nichts, als Bruno helfen, und du bist der Einzige, an den ich mich wenden kann. Er ist schließlich trotz alledem der Sohn deiner Tochter, dein einziges Enkelkind.«
»Ich denke darüber nach. Vielleicht finden wir irgendeinen Weg«, sagte Anton Moser, wandte sich
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