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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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und er war jetzt da, das hatte sie sich von Marliese, seiner Sekretärin, bestätigen lassen.
    Ihr Vater war ein echter Selfmademan. Ende der sechziger Jahre hatte er mit mäßigem Erfolg internationale Politik studiert und war schon als junger Mann eine eigenwillige Persönlichkeit gewesen. Er engagierte sich im maoistischen Kommunistischen Bund KBÖ und verbrachte die alpine Skisaison in den bei betuchten Leuten beliebten Pulverschneeparadiesen Österreichs und der Schweiz, meist auf Kosten älterer Damen. Und er träumte davon, ein Kunstcafé zu eröffnen. Angeblich war es ihrem Vater manchmal gelungen, für längere Zeit der Toyboy irgendeiner reichen Witwe zu sein, aber er hatte es nicht geschafft, auch nur einen Pfennig zu sparen.
    Mitte der siebziger Jahre machte er dann doch unerwartet einen Laden auf, einen Pornoladen. Er ließ Filme drehen und primitives Sexspielzeug im Fernen Osten herstellen und verkaufte seine Produkte zu einem Spottpreis. Wenig später eröffnete er ein zweites Geschäft, dann ein drittes, und einige Jahre später besaß er ein ganzes Pornoimperium. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 streckte seine Ladenkette ihre Fangarme auch nach Deutschland aus.
    Im Jahre 1996 verkaufte ihr Vater überraschend seine Firmengruppe zu einem guten Preis und gründete das ImmobilieninvestmentunternehmenAEM. Es wuchs rasch, bis irgendein ausländischer Investor die Aktienmehrheit kaufte. Vater wurde Direktor, als Angestellter, aber seinen Namen behielt der Konzern. Der Firma gehörte heute halb Wien, zumindest gewann Nadine den Eindruck, wenn sie den »Standard« las. Nach Ansicht der Medien besaß AEM über seine Tochterunternehmen sechs Paläste in Wien, drei Bürotürme und zwei Fußballstadien sowie annähernd hundert andere hochwertige Immobilien in ganz Österreich.
    Nadine fluchte leise. Noch nie hatte sie etwas vorgehabt, das so demütigend sein würde. Sie musste sich erst konzentrieren und beschloss, ins legendäre Café Central zu gehen. In dem weiträumigen Kaffeehaus mit einer schönen Gewölbedecke setzte sie sich an einen Fenstertisch und bestellte eine Melange. Jetzt im Oktober war das Café nicht mehr so von Touristen überlaufen. Ungefähr jeder zweite Gast las die Sonderausgabe einer Abendzeitung.
    Jahrelang hatte Nadine nicht an ihren Vater gedacht, und der hatte auch ewig nicht versucht, mit ihr Verbindung aufzunehmen. Ihre Beziehung war vor neunzehn Jahren zu Ende gegangen, aber die Zeit davor würde nie aus ihrem Gedächtnis verschwinden. Vater hatte sie behandelt wie seine Pferde, als sein Eigentum, das man seinen Freunden vorführen konnte, aber ernähren, versorgen und ausbilden mussten es andere. Nachdem es ihm nicht gelungen war, sie zur Abtreibung oder zur Rückkehr nach Hause zu zwingen, hatte er ab und zu angerufen und Briefe geschickt, einen Privatdetektiv bezahlt, der sie überwachen sollte, und gedroht, sie aus allen möglichen Gründen vor Gericht zu bringen. Im Laufe der Jahre war Vaters Interesse für sie und Bruno jedoch glücklicherweise erloschen. Alles andere hätte sie ihm verziehen, nicht jedoch sein Verhalten, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Hilfe und Unterstützung hätte sie damals gebraucht, nicht diesen enormen Druck vonseiten ihres Vaters, von Psychiatern und Behörden.
    Der Kellner brachte den Kaffee, ohne ein Wort zu sagen. Je berühmterdas Café, desto unfreundlicher die Ober, das wusste Nadine. Es fiel ihr irgendwie leichter als früher, an die Vergangenheit zu denken. Sie sah auch das Verhalten ihres Vaters jetzt in einem anderen Licht als noch vor Jahren. Vielleicht war er doch gar kein Ungeheuer, möglicherweise hatte er nur versucht, sein einziges Kind so zu schützen, wie er es am besten verstand. Sie war seit ihrem zehnten Lebensjahr Vaters Liebling gewesen, seit Mutters Tod während der zytostatischen Therapie. Über den Verlust seiner Frau war der arme Kerl nie richtig hinweggekommen. Er hatte, soweit sie wusste, nicht wieder geheiratet und keine weiteren Kinder. Nadine bemerkte, dass sie ihre Hitzköpfigkeit im Teenageralter bereute, obwohl sie die Gründe für ihr Verhalten kannte: Sie war ein bockiges Mädchen gewesen, ohne Mutter und mit einem Vater, der nie zu Hause war. Die Einsamkeit tat weh, an wem sonst hätte sie diesen Schmerz abreagieren sollen, wenn nicht an ihrem Vater?
    Nadine kostete die Melange. Nicht ihren Vater zu treffen fiel ihr so schwer, sondern ihn um Geld zu bitten. Keinen Pfennig hatte sie

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