Rot
nicht, an Oktoberabenden war im Golfklub nicht übermäßig viel Betrieb. Sie stieg die Treppe hinauf zu den Büroräumen in der ersten Etage und sah vor einer offenen Tür Damengummistiefel stehen. Fast hätte sie vor Schmerz geschrien, als sie ihre Füße in die Stiefel schob. Würde sie es noch schaffen, sich zu säubern, fände sie irgendwo ein Basecap, irgendeine Kopfbedeckung, sie sah aus wie ein Sträfling …
»Eeva. Um Gottes willen, was ist mit dir passiert?« Maria Byman, die Geschäftsführerin von Ruukkigolf, erschien auf dem Flur und starrte ihre Bekannte völlig fassungslos an.
»Frag lieber nicht, du würdest es sowieso nicht glauben. Ich erzähle dir das alles später. Darf ich das Telefon und das Internet benutzen?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Maria Byman antworten konnte. »Aber natürlich. Komm in mein Zimmer. Was ist mit deinen Haaren … und deiner Hand geschehen? Müsstest du nicht zum Arzt?«
»Erst muss ich anrufen.« Eeva Vanhala setzte sich an den Schreibtisch,ging ins Internet und suchte in der Telefonauskunft Laura Hakanens Handynummer heraus. Sie tippte die Nummer in das Festnetztelefon ein, schaute die Geschäftsführerin an und hob die Brauen. Maria Byman wurde klar, dass sie den Raum verlassen sollte, aber die Tür schloss sie nicht.
»Hast du die Ordner übergeben?«, fragte Eeva Vanhala, als Hakanen sich meldete.
»Jetzt rufst du erst an? Um was zum Teufel geht es hier eigentlich?«
»Das erkläre ich später. Könntest du mir antworten.«
»Übergabe kann man das auch nennen. Jemand hat mir einen Schlag auf den Kopf …«
Eeva Vanhala legte auf und überlegte fieberhaft. Wem hatte der Kirgise das Smirnow-Material gebracht? Das musste sie irgendwie in Erfahrung bringen, denn sie hatte nicht die Absicht, sich selbst, alles, dadurch zu ruinieren, dass sie der Polizei mehr verriet, als nötig war. Unter der Privatnummer des Kabinettsvorsitzenden meldete sich nur der Anrufbeantworter, bei seinem Handy ebenso. Sie fluchte laut und bemerkte, wie sich jemand auf dem Flur bewegte. Maria hatte doch nicht etwa gelauscht? Eeva Vanhala schaute kurz hinaus, sagte: »Noch einen kleinen Augenblick«, und schloss die Tür.
Vielleicht hatte Jukka Ukkola irgendetwas erfahren, obwohl er vom Dienst suspendiert war. Der Mann kannte alle wichtigen Leute bei der Polizei, möglicherweise war er neugierig geworden und hatte sich nach den Unterlagen erkundigt, garantiert fragte er sich, was sie enthielten.
Er meldete sich sofort, nach dem Geräusch zu urteilen saß er im Auto. »Ich rufe wegen des Materials an, das ich in der KRP versteckt hatte. Hast du in diesem Zusammenhang etwas gehört?«, fragte Eeva Vanhala. »Weißt du, wer es jetzt hat?«
Jukka Ukkola verlangsamte seine Geschwindigkeit auf dem Ring I, obwohl der Audi über ein Handsfree-Gerät der Spitzenklasseverfügte. Verdammt, warum wusste Vanhala nicht, wie die Lage war?
»Rede mit mir«, bat sie. »Wir stehen auf derselben Seite, man will uns beide loswerden. Oder hast du dir etwa keine Gedanken gemacht, warum du jetzt das einzige Verbindungsglied zwischen dem Kabinett und der Beschaffung von Finanzmitteln bist? Du, ein Mann, dessen Prozess bevorsteht?«
»Da hast du den Falschen angerufen«, sagte Ukkola und brach das Gespräch ab.
Eeva Vanhalas Herz hämmerte wie wild. Was zum Teufel sollte sie jetzt machen? Sie musste den Stand der Dinge in Erfahrung bringen. Seit ihrer Flucht aus der Hütte waren schon etwa zwei Stunden vergangen, aber im Golfklub würde der Kirgise sie nicht suchen. Vielleicht sollte sie es wagen, hier zu warten, bis sie den Vorsitzenden an die Strippe bekam, Maria würde wohl kaum etwas dagegen haben.
Sie erhob sich, öffnete die Tür und sah den Kirgisen in einem grünen Overall. Eeva Vanhalas letzter Gedanke war, dass sie nun nie wieder jemanden anrufen würde.
* * *
Leo Kara und Kati Soisalo saßen im engen Innenraum des Smart und waren auf dem Weg zum Sitz der Firma ProTurva in Herttoniemi. Paranoid hatte über das Internet Zugang zum Kundenregister der Firma bekommen, aber nur Namen von Kunden und mit wenigen Worten abgefasste Auftragsbeschreibungen gefunden. Sie vermuteten, dass darunter auch die Bestellung für Vilmas Transport von Slowenien nach Finnland war, die ein Martin Tamm in Auftrag gegeben hatte. Laut Paranoid war das in Estland allerdings ein sehr häufiger, also höchstwahrscheinlich fingierter Name – zumal sich im Kundenregister von ProTurva weder Tamms Adresse noch andere
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