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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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wieder verlassen hatte, war er absolut überzeugt gewesen, keinen Finger zu rühren, um ihr zu helfen. Doch jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Mit ihrer Bemerkung, Bruno sei trotz alledem sein einziges Enkelkind, hatte Nadine einen Nerv bei ihm getroffen. Schließlich konnte Bruno überhaupt nichts für das, was zwischen ihm und seiner Tochter seinerzeit vorgefallen war.
    Er fasste einen Entschluss und griff zum Telefon. Im Hansy nahm ein Kellner ab, den er nach seiner Tochter fragte. Der mürrische Mann antwortete undeutlich und ließ ihn solange in der Leitung hängen, dass er schon auflegen wollte, doch dann meldete sich Nadine endlich.
    »Ich habe beschlossen, dir zu helfen«, verkündete Anton Moser.
    Nadine Egger war so überrascht, dass sie erst einmal kein Wort herausbrachte. Dann sagte sie: »Das ist ja schön. Darf ich fragen, wie?«
    »Wie viele Mitarbeiter hast du im Hansy?«
    Nadine zählte sie an den Fingern ab. »Sieben feste und vier andere.«
    »Kündige allen, ich besorge dir statt dieser Leute neue Mitarbeiter. Ich würde denken, dass ich elf Chinesen finde, die gut genug Deutsch sprechen.«
    »Chinesen?«, wiederholte Nadine.
    »Die arbeiten fast umsonst. Mit den Nebenkosten sparst du pro Mitarbeiter etwa dreitausend Euro im Monat, im Jahr macht das ungefähr … vierhunderttausend Euro. Das dürfte ja wohl reichen, um die Schadenersatzforderungen an Bruno zu bezahlen.«
    »Wie soll ich das meinen Mitarbeitern erklären …«, wollte Nadine fragen und begriff erst jetzt, dass dieses Telefonat schon beendet war.
    * * *
    Joy Okoye saß auf dem Toilettenbecken und betrachtete abwechselnd die Testspitze des Schwangerschaftstests von Clear Blue und das Pluszeichen auf dem Display. Sie kniff die Augen ein paarmal zusammen, obwohl sie das Pluszeichen genauso deutlich sah wie auf dem vorherigen Teststäbchen. Sie war schwanger. Natürlich freute sie sich, aber das würde alles ändern.
    Joy arbeitete seit fast einem Jahr in Dornbach bei Wien in Anton Mosers Villa. Sie war Sklavin. Das hieß, sie machte die Arbeit einer Haushälterin und Putzfrau, erhielt aber keinen Pfennig Lohn. Sie durfte in Mosers Küche essen, bekam einen freien Tag nur, wenn sie darum bat, und Geld, wenn etwas Notwendiges wie Bekleidung gekauft werden musste. Wenigstens nahm Moser sie nicht mehr mit Gewalt in jener ekligen Bude, einer wahren Hölle, die er als Spielzimmer bezeichnete, was er witzig fand. Der Raum widerte sie an. Seit sie mit Abedi zusammen war, blieb sie davonverschont und brauchte das Spielzimmer nur noch sauberzumachen.
    Sie musste das durchstehen. Nur zu gut wusste sie, wie viel schlechter es ihr gehen könnte. Ihr erster Chef in Wien, ein aggressiver Taxifahrer und gebürtiger Grieche, hatte sie gezwungen, manchmal sogar zwanzig Stunden am Tag zu arbeiten. Gewohnt hatte sie in einem leer stehenden Büro, dessen Heizung abgestellt war. Ihr Chef hatte sie früh gegen fünf abgeholt, ins Zentrum gefahren und ihr die Adressen der Nachtklubs und Restaurants gegeben, in denen sie putzen sollte. Arbeiten musste sie jeden Tag, und der Lohn war so niedrig, dass es kaum fürs Essen reichte. Diese Folter hatte fast ein Jahr gedauert.
    Vor lauter Einsamkeit war sie ständig niedergeschlagen gewesen; ihr Zuhause, die Familie, die Freunde – alles war in Nigeria geblieben. Und in ganz Wien kannte sie damals außer diesem Schwein aus Athen niemanden. Schließlich hatte sie nicht mehr schlafen können und war nur noch in der Stadt unterwegs gewesen, wenn es sein musste; eine ungepflegte schwarze Frau war für die Wiener noch schlimmer als ein Bettler, und die abfälligen Blicke konnte sie nicht mehr ertragen. Für neue Bücher reichte ihr Geld nicht, also las sie damals in ihrer aus Nigeria mitgebrachten Bibel, bis sie genug davon hatte, dass ihr eine Erlösung versprochen wurde, die in ihrer Phantasie stattfinden sollte. Danach wandte sie sich an Chukwu Abiama, den Schöpfer von allem. Der versprach nur eine Wiedergeburt, bei der man in die eigene Familie zurückkehrte. Gerade das war tröstlich. Und die Götter und Geister der Igbo brauchte man nicht zu fürchten, sie verhielten sich wie Freunde.
    Am Ende war sie dem Griechen weggelaufen und hatte sich eingebildet, allein besser zurechtzukommen. Stattdessen geriet sie in einen noch schlimmeren Teufelskreis, sie übernachtete mal hier und mal da und war schließlich gezwungen, sich selbst zu verkaufen. Aus dieser Hölle hatte Anton Moser sie gerettet, das musstesie

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