Rot
zugeben. Der Grieche hatte Moser von ihrem Verschwinden erzählt, und dessen Helfer machten sie ausfindig.
Joy Okoye öffnete die Tür zu Mosers Arbeitszimmer und sah die Fotos an der Wand, auf denen der Mann mit allen möglichen Leuten posierte, von denen sie nur einen erkannte, den Präsidenten von Kamerun. Und gerade in Kamerun hatte sich ihr ganzes Leben verändert.
Vor drei Jahren lebte sie noch in der Nähe der Stadt Kano in Nordnigeria. In dieser Gegend gab es dann und wann Zusammenstöße zwischen Christen und Moslems. Sie war Christin und gehörte zum Volk der Igbo. Ihr Bruder hatte sich der Widerstandsbewegung MASSOB angeschlossen, die für die Unabhängigkeit Südnigerias eintrat, und war bei einem Feuergefecht gefallen. Mutter hatte ihre Arbeit in einem Bekleidungsgeschäft verloren, und Vaters Schusterwerkstatt war niedergebrannt worden. Als ihre Eltern nach Ostnigeria in eine ruhigere Gegend zogen, hatte sie sich eingebildet, klug und mutig zu sein und war nach Kamerun gegangen, um sich Arbeit zu suchen. Das erwies sich als der größte Fehler ihres Lebens. Die Arbeitsvermittlungsagentur, die Moser gehörte, hatte ihr einen gut bezahlten Job in Europa versprochen. Und nun saß sie hier. Ihren Pass und ihren Personalausweis hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie die Dokumente bei Mosers Agentur abgegeben hatte. Falls sie sich ohne Papiere bei den österreichischen Behörden meldete, würde man sie sofort nach Nigeria zurückschicken. Aber die Lage änderte sich womöglich, wenn sie genug Geld sparte und eine Schule besuchen oder eine normale Arbeit finden könnte. Das behauptete ihr Mann Abedi. Joy hatte Angst. Was würde Abedi sagen, wenn er von ihrer Schwangerschaft erfuhr.
Joy Okoye ging bis ans andere Ende des Arbeitszimmers und hoffte, dass Anton Moser am Morgen besonders wichtige Unterlagen auf seinem Schreibtisch liegen gelassen hatte. Im Laufe der Jahre hatte sie ziemlich gründlich Deutsch gelernt, gezwungenermaßen,und konnte nun auch recht schwierige Texte verstehen. Das wusste Moser natürlich nicht. Er kam immer erst abends aus der Stadt zurück, sie hatte also noch etliche Stunden Zeit. Joy buchstabierte eine Weile die Wörter auf dem obersten Blatt, begriff, dass es um Menschen ging, die man aus Kamerun hierher gebracht hatte, und dankte Chukwu Abiama.
Ihr musste irgendein Weg einfallen, wie sie sich diese Unterlagen zunutze machen konnte. Sie und Abedi brauchten dringend Geld, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Sie wollte ihrem Kind eine Zukunft geben. Vielleicht wäre sie auch imstande, sich an Anton Moser zu rächen, für das, was er ihnen allen angetan hatte. Den hunderttausenden Menschen, denen es so erging wie ihr.
20
Freitag, 7. Oktober
Geheime Dienstsache des stellvertretenden Leiters der Abteilung für Internationale Beziehungen des Zentralkomitees der KPdSU Witali Schaposchnikow: »Über den Austausch mit der Sozialdemokratischen Partei Finnlands«, Nr. 25-S-1492, 19.8.1980. Jukka Ukkola legte das finnischsprachige Dokument zurück auf den Esstisch seines Wohnzimmers und schaute den etwa dreißigjährigen, nach Knoblauch riechenden Russischübersetzer verdrossen an, der seit drei Stunden ohne Pause mit Eeva Vanhalas Unterlagen beschäftigt war.
»Die brauchen doch wohl nicht alle übersetzt zu werden, das sind hunderte Berichte. Dieser Lalli hatte ab Mitte der sechziger Jahre bis zum Zerfall der Sowjetunion wöchentlich Kontakt mit der sowjetischen Botschaft in der Tehtaankatu, manchmal täglich«, sagte der Übersetzer und schob die Finger in seinen dichten Bart.
»Und dieser Lalli ist ausdrücklich der Exministerpräsident?«, vergewisserte sich Ukkola schon zum zweiten Mal. Aus irgendeinem Grund fiel es ihm schwer, dem Übersetzer zu vertrauen, der langhaarige Kerl war anscheinend mehr daran interessiert, die Unterlagen zu lesen, als sie zu übersetzen. Dann und wann schnaufte er geräuschvoll und schüttelte den Kopf, wenn er auf eine besonders überraschende oder interessante Information stieß.
»Hier findet man auch die Decknamen und Codes aller vom KGB angeworbenen finnischen Helfer bis 1991.« Der Übersetzer zeigte mit dem Finger auf den etwa fünfzehn Zentimeter hohen Papierstapel und schaute Ukkola verwundert an. »Warum überprüfst du diese Unterlagen zu Hause?«
»Das geht dich nichts an. Es handelt sich um eine Angelegenheit der KRP und du hältst über die ganze Geschichte die Klappe«, schnauzte Ukkola, obwohl er wusste, dass der
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