Rote Gruetze mit Schuss
Doktor.« Sie fasst ihn verschwörerisch am Arm.
Müller-Siemsen grinst. »Auf gar keinen Fall. Das Dresdner Quartett soll ja eine Wucht sein«, gerät er lauthals ins Schwärmen.
Huberta von Rissen, wie immer im englischen Tweed und mit Perlenkette, ist gerade dabei, ihre litauische Haushaltshilfe beim Aufstellen der Stühle und dem Arrangieren diverser Blumengestecke im Salon des Gutshauses zu dirigieren. »Hier doch keinen Stuhl hin!«, ranzt Huberta das Mädchen an. »Von hier aus kann man die Musiker doch gar nicht sehen!« Zu Müller-Siemsen gewandt, verdreht sie die Augen. »Doktor, die Rote Grütze ist doch bestellt?«, fragt sie streng.
»Alles ordnungsgemäß bestellt«, antwortet der Arzt ironisch unterwürfig. »Und ich habe auch vorgekostet.Ist wieder köstlich. Meisterin Antje wollte eigentlich schon geliefert haben. Sie kommt bestimmt gleich.«
Jetzt stolpert auch Herr von Rissen in den Salon. Anscheinend hat er schon den einen oder anderen mittäglichen Schoppen intus. Sein Gesicht leuchtet bordeauxrot.
»Ohne Rote Grütze keine Musik, was, Müller-Siemsen?«, ruft von Rissen dem Professor im Kasino-Ton mit blecherner Stimme zu. »Unseretwegen könnten wir den Händel auch auslassen, was.«
»Damit wäre Ihre Frau Gemahlin aber sicher nicht einverstanden.« Müller-Siemsen lacht gekünstelt und zwinkert Huberta zu.
»Na ja, meine Frau gefällt sich darin, ab und an das Volk ins Haus zu holen. Aber bitte, wenn es denn sein soll!«
»Lieber Doktor, Sie wissen ja, Onno ist ein großer Kulturliebhaber.«
»Unfug! Nichts dagegen! Ich weiß nur nicht, was diese Leute bei uns im Haus zu suchen haben. Friesische Bauern, Provinzbürgermeister, ein Dorfgendarm, der sich das Hemd nicht richtig zuknöpft, und dann auch noch dieser abgehalfterte Althippie. Aber man sieht ja, wo diese demokratischen Sitten hinführen!«
»Onno, ich weiß wirklich nicht, was unsere Kammermusik mit dem Tod von Jörn Brodersen zu tun haben soll.«
»Verschone mich mit diesem Namen!« Vom Blechernen schlägt die Stimme ins Kläffende um. »Außerdem, was veranstaltet ihr hier schon wieder für eine Unordnung?«
»Onno, bitte ... lieber Doktor, Sie müssen entschuldigen.«
»Lieber Doktor, lieber Doktor ... meine Güte! Als hätten wir nicht ganz andere Probleme!« Der alte von Rissen redet sich immer mehr in Rage. Der Professor und das Dienstmädchen blicken betreten. »Während meine Frau hier den Konzertimpresario gibt, sitzen uns mal wieder die Gläubiger und das Finanzamt im Nacken. Wir hätten längst unsere Wiese zu Geld machen können.« Von Rissens Gesichtsfarbe tendiert zunehmend ins Violette. »Meine liebe Huberta, der alte Dossmann hat grad noch mal sein Angebot nachgebessert. Aber gnä’ Frau hat ja offensichtlich andere Pläne. Das hat man davon, wenn man seiner Frau sein Hab und Gut überschreibt ...«
»Nur weil mein Vater ...«
»... der Hamburger Pfeffersack in seinen Anzügen von der Stange ...«
»... dich gerettet hat. Und jetzt ist es schon wieder so weit, dass wir Hamburger Pfeffersäcke einspringen sollen! Weil uns der feine Herr am Roulettetisch im Travemünder Casino um Hab und Gut bringt.«
»Baccara! Bitte! Baccara!«
Müller-Siemsen wird die ganze Situation zunehmend unangenehm. Huberta von Rissen nestelt erregt an ihrer Perlenkette.
»Sie sehen, die Familie ist sich da nicht ganz einig«, versucht Huberta den Eklat herunterzuspielen. »Wissen Sie, die Polizei geht bei uns neuerdings ein und aus. Das geht Onno an die Nerven. Und auf das Mordopfer ist er schon gar nicht gut zu sprechen.«
»Uns belastet diese Geschichte ja alle. Aber verehrte Huberta, ich glaube, ich werde mich dann erst mal verabschieden«, sagt Müller-Siemsen.
»Dieser bekiffte Gigolo! Am liebsten wärst du ja mit ihm durchgebrannt. Ein Weingut in Südafrika wolltet ihr übernehmen, oder was war das? Lachhaft!«, kläfft der alte von Rissen immer weiter, während er aus dem Salon herausstolpert. »Früher wären wir einfach mit den Sekundanten im Morgengrauen vor den Deich gezogen. Aber alle nicht mehr satisfaktionsfähig! Da schießt man sich am besten selbst eine Kugel in den Kopf«, hört man von Rissen im Selbstgespräch aus dem Nebenraum. »Immer noch die eleganteste Lösung.«
Huberta von Rissen ringt die Hände, Tränen stehen in ihren Augen. »Meine Güte, wo hast du denn jetzt die Stühle hingestellt?«, blafft sie das Dienstmädchen an.
Als Müller-Siemsen kurz darauf vor dem Gutshaus auf sein Fahrrad
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