Rote Gruetze mit Schuss
steigt, fährt Antje im geliehenen Kleinbus des Klempners aus dem Nachbardorf Reusenbüll auf der Kiesauffahrt vor, auf dem Beifahrersitz Hündin Susi und im Laderaum fünfzig Portionen Rote Grütze. Onno von Rissen belädt gerade den Kofferraum seines Landrovers mit Wolldecken und einem Zehn-Liter-Benzinkanister.
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Die kleinen bunten Fähnchen über der Dorfstraße schaukeln müde im Frühlingswind. Aus einer Garage heraus kreischt eine Kreissäge. Es ist nicht mehr warm, sondern schon unnatürlich heiß. Das Thermometer vor dem Edeka-Markt zeigte gegen Mittag siebenundzwanzig Grad. Auch am späten Nachmittag ist es noch lauschig wie im Sommer. Immer mehr Blütenpollen stäuben durch die Luft, völlig untypisch für die Nordsee. Nicole Stappenbek hat ihr Nasenspray im Dauereinsatz.
Die Fredenbüller holen für das große Feuerwehrfest die Sommerklamotten heraus. Der Schimmelreiter paradiert im Corolla, hinter dem Steuer mehr liegend als sitzend, wieder mit selbstbewusst aufgedrehtem Sound durch den Ort.
Vor dem Gutshaus der von Rissens steht ein Wagenpark von Oldtimern mit Kennzeichen aus ganz Norddeutschland, englische Roadster in Rallyegrün, ein alter Jaguar und ein James-Dean-Porsche. Der Händel-Nachmittag ist grade zu Ende gegangen. Jetzt stehen ein paar blasierte Typen mit Haartolle und Einstecktüchern und die dazugehörigen Damen mit Perlenkettchen zwischen ihren Museumsautos und bieten sich gegenseitig Orientzigaretten aus Pappschachteln an. Sie würdigen die aus Dresden angereisten Musiker, dieihre Instrumente gerade in einen Kleinbus bugsieren, keines Blickes.
Ein paar Häuser weiter wird gerade aufgebaut. »One, two ... one, two«, hallt es seit einer halben Stunde gebetsmühlenartig durch die Scheune des historischen Fachwerkhauses. Auf der farbig ausgeleuchteten Bühne hüpft Bounty mit umgehängter Stratocaster von Mikrofon zu Mikrofon und zelebriert den Soundcheck. Im Hintergrund schraubt der Drummer von »Stormy Weather« an seinem Schlagzeug herum. Der Rest der Band sitzt draußen auf den Strohballen, die auf dem neuverlegten Kopfsteinpflaster vor der Scheune als Sitzgelegenheit für das Fest ausgelegt sind, trinkt Maibock und isst Antjes Mettbrötchen. Die mit Spannung erwartete neue Sängerin ist aus dem fernen Flensburg noch gar nicht eingetroffen.
»One, two! Sören, hau bei der Zwei ruhig ein paar mehr Bässe rein!«, ruft Bounty dem Tontechniker zu und spielt auf der E-Gitarre die Anfangsakkorde von ›Brown Sugar‹ an, dass in der Fachwerkscheune die Papiergirlanden vibrieren und Biergläser klingeln.
Die Frühlingslüfte wehen die Soundfetzen bis zu der kleinen Wache hinüber. Thies hat sich angeboten, schnell den Bericht zu schreiben. Dann will er noch mal kurz nach Hause, um sich für das Feuerwehrfest umzuziehen und den Frontspoiler mit einer Extraportion Gel in Form zu bringen. Heute Abend muss der Fall mal ruhen, heute ist Feuerwehrfest. Und wenn er dort in Uniform aufkreuzt, dann wird Heike langsam sauer, da hat Thies ein ganz deutliches Bauchgefühl. Ersitzt vor der alten Schreibmaschine und starrt Sinsic in sein blödes Grinsen.
Am Tag nach seiner Festnahme hatten sie Leif Ketels gleich wieder freilassen müssen. Spuren von Ketels’ Blut waren zwar überall in der Remise, auf dem Griff der Sense und erstaunlicherweise auch auf dem Mähdrescher gefunden worden. Aber die sichergestellten Fingerabdrücke auf der Waffe gehörten eindeutig nicht ihm. Und selbst nach gründlichster Suche waren keinerlei Schmauchspuren an ihm oder an seiner Kleidung zu Hause gefunden worden. Selbst der mutmaßliche Versicherungsbetrug musste warten. Am Wochenende lässt sich im Nürnberger Firmensitz sowieso nichts klären.
»Immerhin haben wir nach all den Jahren unsere Zelle mal eingeweiht«, hat Thies zu Nicole gesagt. »Is doch ’n Jammer, dass der Raum überhaupt nicht genutzt wird. Dat Klo is praktisch wie neu.«
Auch Hühnerbaron Dossmann läuft ihnen nicht weg. »Keine Flucht- und eigentlich auch keine Verdunklungsgefahr«, hatte Nicole gesagt. Und die seit einer Woche verschollene Swaantje wird vermutlich nicht gerade heute Abend zum Feuerwehrball wieder auftauchen.
In der letzten Woche ist in Fredenbüll so viel passiert wie seit der großen Sturmflut 1962 nicht mehr, und da war Thies Detlefsen noch gar nicht auf der Welt. Die Ereignisse der letzten Tage hatten in dem idyllischen Ort allerlei durcheinandergebracht. Die Nachricht von der Verhaftung des Versicherungsvertreters hatte
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