Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
blicken, dass dich die Dominae nie so akzeptiert haben, wie du bist? Und zwar nur deshalb, weil deine Eltern angeblich einen Fehler begangen haben? Bist du es dir nicht selbst schuldig, diese andere Seite von dir kennenzulernen
– jene Seite, die dir bisher immer verweigert wurde? Es steht in deiner Macht, etwas Gutes zu tun. Hilf mir, die Magier zu retten, Sabina.«
Unwillkürlich spannten sich meine Nackenmuskeln an. Adam war also nur ein weiterer Spieler in einer ganzen Reihe von Leuten, die mich als Mittel zum Zweck sahen.
Wenn ich bloß wütend bin, brülle ich. Aber wenn ich vor Zorn koche, wird meine Stimme eiskalt. Als ich jetzt sprach, bildeten sich geradezu Eiszapfen in der Luft. »Interessant, dass du mir in einem Atemzug rätst, etwas für mich selbst zu tun und gleichzeitig etwas für dich. Darum geht es dir doch in Wirklichkeit, nicht wahr? Es geht dir nicht um mich. Du willst mich doch auch nur für deine Zwecke benutzen, Adam. Du bist nicht besser als die anderen.«
Er strich sich nachdenklich über das Kinn. »Touché. Ich brauche tatsächlich deine Hilfe. Aber das widerspricht nicht dem, was ich gesagt habe. Diese ganze Sache wird ein schlimmes Ende nehmen, Sabina. Über kurz oder lang werden die Magier und die Vampire wieder in einem Krieg stecken. Und dann wirst du dich entscheiden müssen, auf welcher Seite du stehst. Wirst du auf der Seite kämpfen, die dich dein Leben lang belogen und betrogen hat, die dich nicht als die akzeptiert, die du bist? Oder wirst du dem Rat der Hekate und vor allem deiner Schwester eine Chance geben?«
»Einen Moment mal.« Ich lehnte mich vor, da ich kaum glauben konnte, was ich da hörte. »Wir haben doch gerade über die Mission gesprochen. Und jetzt redest du plötzlich davon, dass ich mich für eine Seite in einem Krieg entscheiden muss, der noch nicht einmal begonnen
hat. Und wie soll ich einer Schwester vertrauen, der ich noch nie in meinem Leben begegnet bin? Das ist nicht fair, Adam.«
»Das Leben ist nicht fair, Sabina. Je schneller du dich mit der Tatsache auseinandersetzt, dass dich deine Großmutter betrogen hat, desto schneller können wir uns überlegen, was wir jetzt machen wollen.«
Ich vergrub meine Fingernägel im Ledersitz des Autos. »Was meinst du mit ›wir‹? Dich hat man nicht betrogen, soweit ich weiß.«
»Nein, stimmt, das hat man nicht. Man hat dich betrogen. Man hat dich angelogen. Man hat dich benutzt. Dir hat man vorgegaukelt, dich zu lieben und nur dein Bestes zu wollen. Aber in Wahrheit war das alles eine einzige große beschissene Lüge.«
Er sprach mit leiser Stimme. Das Mitgefühl, das ich heraushören konnte, brach irgendetwas in meinem Inneren auf. Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand in mir plötzlich das Licht eingeschaltet, und die plötzliche Helligkeit machte es mir unmöglich, die Wahrheit noch länger zu leugnen.
Meine Brust begann anzuschwellen, als sich ein Schrei in mir aufbaute. Und ich wusste, wenn er mir jetzt über die Lippen kam, würde ich nie wieder aufhören zu schreien. Vorsichtig betrachtete ich die Oberfläche meiner Empfindungen, aus Angst, zu tief einzutauchen und darin unterzugehen.
Mein ganzes Leben war auf Lügen gebaut. Ehre, Loyalität, Familie – das waren die Werte, mit denen mich meine Großmutter immer zu manipulieren gewusst hatte. Meine Augen brannten, als ich begriff, dass meine Loyalität in Wahrheit völlig fehl am Platz gewesen war und mich
meine eigene Familie – mein eigen Fleisch und Blut – nur benutzt hatte. Die dumme Sabina, die immer gehofft hatte, eines Tages doch noch beweisen zu können, dass sie es wert war, geliebt zu werden. Die immer hart gearbeitet hatte, nur um ein paar Brocken hingeworfen zu bekommen. Ich war eine Idiotin gewesen. Ein Einfaltspinsel. Ein verdammter Trottel.
Adam wartete. Er tat so, als würde er die Tränen, die mir in Strömen über die Wangen liefen, nicht bemerken – ebenso wenig wie die sich rasch ausbreitenden Risse in meiner Fassade. Er wartete, während ich vorgab, damit zurechtzukommen, dass sich mein Leben vor meinen Augen in seine Einzelteile auflöste. Ich holte am ganzen Körper zitternd Luft und wischte mir die Tränen fort. Dann fasste ich all meinen Schmerz und meine Enttäuschung zusammen und zerknüllte sie zu einem Ball der Verbitterung.
»Sie werden dafür zahlen«, sagte ich schließlich.
Der Magier streckte die Hand nach mir aus, doch ich winkte ab.
»Ich will, dass die Dominae … dass meine Großmutter dafür
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