Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
Anzeichen von Schwäche.
Normalerweise hätte ich einen Kampf wie den vor Davids Tod den Dominae gegenüber nicht erwähnt. Doch in diesem Fall wusste ich, dass Ausflüchte oder Leugnen sinnlos gewesen und die drei nur misstrauisch geworden wären, wenn ich nichts davon erzählt hätte.
»Die Zielperson hat sich gewehrt, konnte aber trotzdem eliminiert werden.«
Die drei nickten anerkennend.
»Du nennst ihn ›die Zielperson‹«, meinte Persephone,
die jüngste der Dominae. »Warum nennst du David nicht bei seinem Namen?«
»Vergebt mir, Domina. Aber ich folge nur dem üblichen Prozedere bei solchen Missionen.«
»Aber David ist viele Jahre lang ein guter Freund von dir gewesen, nicht wahr?«, entgegnete sie. »Also kann es sich in diesem Fall um keinen üblichen Auftrag für dich gehandelt haben.«
»Mission ist Mission«, erwiderte ich kühl. Warum wollten sie mit mir über Davids Tod sprechen? Es war schon schlimm genug gewesen, dass sie mir diesen Auftrag erteilt hatten. Schließlich gab es eine ganze Reihe von Auftragskillern, die diese Mission ebenso gut wie ich hätten erfüllen können. Warum hatten sie gerade mich gewählt? Aber ich wagte es genauso wenig wie die anderen, die Entscheidungen der Dominae in Zweifel zu ziehen oder zu hinterfragen.
»Du hattest also keine Skrupel, deinen Freund zu töten?«, erkundigte sich Lavinia abschließend.
»Nein«, antwortete ich und sah ihr dabei direkt in die Augen. »Er hörte auf, mein Freund zu sein, als er zu einem Verräter wurde.«
Ich leerte mein zweites Glas Wein und reichte es dann dem Diener, der in meiner Nähe wartete. Warum hakte Lavinia noch einmal nach? Ich konnte es mir nicht leisten, zuzugeben, dass es mir schwergefallen war, einen Freund zu töten. Auftragsmorde durften niemals persönlich werden. Das hatte mir Lavinia selbst vor langer Zeit beigebracht.
Die drei schienen miteinander zu kommunizieren, ohne dass ein einziges Wort fiel. Schließlich beugte sich Lavinia vor. »Wir freuen uns über deinen Erfolg.«
Sogleich durchströmte mich eine Wärme, die nichts mit dem Blutwein in meinen Adern zu tun hatte. »Ich danke Euch, Dominae.«
»Allerdings mussten wir zu unserem Leidwesen erfahren, dass es gestern Nacht außer dem gestatteten Mord noch einen ungeplanten gegeben hat. Und zwar im Club Sepulcher .«
Die Wärme in meinem Inneren verwandelte sich schlagartig in Eiseskälte, als ich die Miene meiner Großmutter sah. Es war derselbe Gesichtsausdruck, den sie immer dann aufsetzte, wenn sie mich an meine zahllosen Fehler und Schwächen erinnerte. Diesen Blick hatte ich schon mehr als einmal erleben müssen, und jedes Mal erfüllte mich eine tiefe Scham. Ich schämte mich dafür, noch immer nicht in der Lage zu sein, die Makel meines Charakters auszumerzen, die ich offenbar von meinem Magier-Vater geerbt hatte.
Instinktiv wollte ich die Augen zu Boden richten und mich entschuldigen. Gleichzeitig war ich diesmal jedoch auch wütend. Ich war unter einer falschen Annahme hierhergelockt worden, denn für den ausgeführten Auftrag hatte ich ein Lob erwartet. Doch jetzt musste ich feststellen, dass man mich herbeordert hatte, um mir die Leviten zu lesen.
»Und, Sabina? Stimmt das? Hast du einen Lilim ohne Erlaubnis getötet?«
Ich hatte einen Kloß im Hals, als ich nickte. »Ja, das stimmt. Ich hatte keine Erlaubnis dazu. Doch Eure Gesetze erlauben es einem Vampir, sich zu verteidigen, wenn er angegriffen wird und …«
»Wage es bloß nicht, uns unsere Gesetze zu erklären, Sabina«, unterbrach mich Lavinia mit eisiger Stimme. Ihr
Satz traf mich wie eine Ohrfeige. Ich zuckte zusammen. Diesmal hatte ich eindeutig eine Grenze überschritten.
»Verzeiht mir, Beschützerinnen aller Lilim. Ich habe einen großen Fehler begangen.«
Lavinia holte Luft und gab dem Diener ein Zeichen, ihr den Pfeifenkopf zu reichen, der durch einen Schlauch mit einem unsichtbaren Gefäß unter dem Tisch verbunden war. Sie sog daran und nahm den roten Rauch tief in ihre Lungen auf. Ein süßlicher Geruch stieg mir in die Nase.
Nun meldete sich Tanith zu Wort. Sie las in einem Papier, das vor ihr auf dem Tisch lag. »Nach dem Bericht soll ein gewisser Billy Dan Calebow, der Bruder von Zeke Calebow, dich mehr als einmal bedroht haben. Unserem Zeugen zufolge wurdest du allerdings auch dabei belauscht, wie du das Opfer gereizt hast.«
Lavinia, deren Augen im Licht der Lampe, die über den Dominae hing, glasig wirkten, schlug mit der flachen Hand wütend auf den
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