Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
schließlich ich es, die David für seine Untreue zahlen ließ.«
Lavinia öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich hob die Hand, um ihr zu bedeuten, dass ich noch nicht fertig war. »Weil wir gerade davon sprechen: Wusstet Ihr, dass sich David geweigert hat, mit Clovis zusammenzuarbeiten, als sich die beiden trafen?«
Sie warf den Kopf zurück und lachte kalt. »Und wer hat dir das erzählt, Sabina?«
Ich schwieg. Wir beide kannten die Antwort.
Meine Großmutter beugte sich vor und schnupperte in meine Richtung. »Er hat also von dir getrunken«, erklärte sie angewidert.
Mein Mund fühlte sich jetzt trocken an. Einen Moment lang hatte ich vergessen, mit wem ich es zu tun hatte. »Ja, Domina.«
»Dann beantworte mir diese Frage, Sabina. Wer hat dich aufgezogen?« Ihr Tonfall klang ruhig und gelassen, aber ich wusste aus Erfahrung, dass es keinen Grund für mich gab, mich zu entspannen.
»Ihr.«
»Und wer hat dir die Dinge beigebracht, die du zum Überleben brauchst?«
»Auch Ihr«, flüsterte ich.
»Und wem hast du ewige Treue geschworen, als du sechzehn Jahre alt wurdest?«
Ich richtete mich auf. »Den Dominae.«
»Richtig. Dann erklär mir jetzt, warum du mich wegen
etwas zur Rede stellen willst, was unser Erzfeind behauptet hat? Hat er dich denn so gründlich verführt, dass du die Wahrheit nicht mehr erkennst, selbst wenn sie dir ins Auge sticht? Clovis wird alles tun, um sein Ziel zu erreichen und uns die Macht zu entreißen. Begreifst du das nicht? Willst du dich wirklich von diesem Halbdämonen-Abschaum benutzen lassen, Sabina?«
Ich schluckte und schüttelte den Kopf. Ich hatte tatsächlich das Wesentliche aus den Augen verloren und insgeheim angefangen, die Dominae in Frage zu stellen. Es war an der Zeit, meine Karten offen auf den Tisch zu legen. »Er weiß, was im Weingut passiert«, sagte ich. »Er plant, die Magier zu retten und die Situation dazu zu nutzen, Euch die Macht über unser Geschlecht zu entreißen.«
In gewisser Weise fühlte ich mich nach dieser Erklärung erleichtert. Gleichzeitig befürchtete ich jedoch, einen großen Fehler begangen zu haben.
Meine Großmutter knallte den Weinkelch auf den Tisch und sprang auf. Purpurrote Flüssigkeit schwappte aus dem Gefäß und lief wie aus einer blutenden Wunde an ihm herab. Sie lief aufgebracht vor dem Tisch auf und ab. »Töte ihn«, befahl sie mir erneut.
Ich stammelte irgendetwas, während ich überlegte, wie ich sie davon abhalten konnte. »Domina, ich glaube nicht …«
Ihre blasse Hand fuhr schneidend durch die Luft. »Morgen.«
Mir verkrampfte sich der Magen. »Ich verstehe Eure Dringlichkeit, Großmutter. Aber ich kann nicht einfach mit einer Waffe in sein Haus eindringen und ihn töten. Seine Wachleute würden mich umbringen, ehe ich auch nur meine Pistole gezogen hätte.«
Sie blieb abrupt stehen, verschränkte die Arme und durchbohrte mich mit einem eisigen Blick. »Dein Leben im Dienst für dein Geschlecht zu verlieren, bedeutet eine große Ehre, Sabina.«
In der darauffolgenden Pause sah ich auf einmal alles glasklar vor mir: Ehre . Dieses Wort verfolgte mich bereits mein ganzes Leben lang. Meine Großmutter hatte mir den Ehrbegriff schon sehr früh eingetrichtert. »Ehre« war sozusagen mein erstes Wort gewesen. Später war es das Gefühl von Ehre, das mir die Lippen verschlossen hatte, als sie mir erklärte, dass ich nie Messdienerin im Tempel werden konnte. Ehre ließ mich mein Bauchgefühl vergessen, als sie mir befohlen hatte, David zu töten. Und jetzt erwartete sie von mir, offenen Auges in den Tod zu rennen – alles im Namen der Ehre.
»Verstehe«, murmelte ich.
Großmutter nickte. Sie nahm wohl an, dass ich ihren Auftrag akzeptierte. Doch in Wirklichkeit verstand ich etwas ganz anderes.
Ich hatte immer gehofft, dass ich meiner Großmutter etwas bedeutete. Sie war weder warm noch liebevoll und trieb mich stets zu Höchstleistungen an. Aber ich war immer davon ausgegangen, dass sie mich trotzdem liebte. Wenn es schon nichts anderes zwischen uns gab, so bestand doch zumindest eine Blutsverwandtschaft, die ihr irgendetwas bedeuten musste. Aber ihre völlige Missachtung meines Lebens, die Tatsache, dass sie meinen Tod wie selbstverständlich in Kauf nahm, offenbarte mir endlich die Wahrheit: Sie benutzte mich. Ich war nur Mittel zum Zweck, ein dummes Schaf, das jederzeit geopfert werden konnte.
Aber dieses Schaf hatte nicht vor, sich wehrlos zum
Schlachthof führen zu lassen. Oh nein, diese Zeiten
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