Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
waren vorbei.
»Und was ist mit den Magiern auf dem Weingut?«, fragte ich dreist.
»Wie bitte?« Lavinias Augen funkelten bedrohlich.
»Was passiert, wenn der Rat der Hekate erfährt, was Ihr dort macht?«
»Du wagst es, mein Handeln in Frage zu stellen?« Ihre Stimme klang auf einmal schrill. »Vergiss nicht, wer ich bin, Kind.«
»Aber Clovis ist nicht der Einzige, der davon weiß. Wenn sich das herumspricht …«
Sie winkte ungeduldig ab. »Ein Krieg ist sowieso unvermeidbar. Es geht jetzt nur noch um den besten Zeitpunkt. Deine Aufgabe ist es, Clovis zu töten, ehe er in der Lage ist, einen Putschversuch zu unternehmen. Wenn es ihm gelingt, die Macht an sich zu reißen, werden die Hekate unser gesamtes Geschlecht auslöschen.«
Clovis … Ein weiterer Vampir, der mich als Mittel zum Zweck sah. Während mich die Haltung meiner Großmutter mit einem seltsamen Gefühl der Leere zurückließ, rief Clovis’ Gewissenlosigkeit einen tiefen Hass in mir hervor. Er war schuld daran, dass zwei meiner Freunde nicht mehr am Leben waren. Ich musste ihn töten.
»Aber warum sammelt Ihr das Blut der Magier? Das scheint mir ein unnötiges Risiko zu sein.«
»Wenn es Krieg gibt, wird uns das Blut mehr Kraft im Kampf gegen den Rat der Hekate verleihen. Wir werden endlich in der Lage sein, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, Sabina.«
Mein Gewissen forderte mich auf, ihr zu widersprechen, doch etwas anderes – etwas Schwaches und Jämmerliches
– flehte mich an, meine Bedenken in den Wind zu schlagen. Ich verachtete mich für mein Bedürfnis, von meiner Großmutter geachtet zu werden. Wie ein Junkie versuchte ich, mir mein Bedürfnis rational zu erklären, während ich hoffte, dass mir der nächste Schuss das High bringen würde, nach dem ich mich so sehr sehnte.
»Aber Ihr werdet das Blut doch nur verwenden, wenn es zu einem Krieg kommt, oder? Und Ihr plant doch nicht, einen Krieg herbeizuführen?«
Lavinia lachte kalt. »Mach dich nicht lächerlich. Wer würde absichtlich einen Krieg anzetteln?«
Ich nickte. Nachdenklich nagte ich an meiner Unterlippe. Wieder tauchte das Bild aus dem Krankenzimmer vor mir auf. Mein Gewissen drohte, sich erneut zu Wort zu melden, doch ich schob es entschlossen beiseite. Das waren nur Magier. Ich war Vampirin. Clovis war der Feind. Meine Großmutter war Familie. Wenn man es so betrachtete, war meine Entscheidung bereits gefallen.
Wenn das alles hinter mir lag, musste ich mir allerdings ein paar ernsthafte Gedanken über mein Leben und die Entscheidungen machen, die ich bisher getroffen hatte. Dieses ganze Taktieren und Lavieren verursachte mir allmählich Magengeschwüre. Vielleicht war ich auch einfach nur reif für die Insel. Oder vielleicht sollte ich mich wirklich selbstständig machen und diese Art von Intrigen endgültig meiner Großmutter überlassen? Beim letzten Gedanke verkrampfte sich mein Magen erneut.
Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für eine Grundsatzdebatte. Ich verdrängte die Überlegungen über meine Zukunft und versuchte mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich würde ganz einfach vergessen, was
ich auf dem Weingut gesehen hatte und meine Pflicht erfüllen – notfalls mit Scheuklappen.
»Ich verstehe, Domina.«
Einen kurzen Moment lang blitzten ihre Eckzähne auf. Sie sah aus wie eine Kobra, bereit zum Angriff. »Ausgezeichnet.«
Den nächsten Tag über schlief ich nur sehr schlecht. Trotz der schwarzen Vorhänge, die Vinca vor meinem Fenster angebracht hatte, spürte ich, wie die Sonne aufging und langsam über den Himmel wanderte. Jede Minute, die verging, brachte mich dem Ende meiner Mission näher, und davor graute es mir. Unruhig wälzte ich mich hin und her.
Gegen vierzehn Uhr gab ich schließlich auf und setzte mich an den Rand meines Bettes. Der Kater schlief in einer Ecke auf einem Haufen alter Klamotten. Selbst im Schlaf schien er die Spannung zu spüren, die von mir ausging. Seine kleinen Pfoten und Ohren zuckten immer wieder nervös, als würde er träumen.
Ich nutzte die Zeit vor Sonnenaufgang, um einen Plan auszuarbeiten. Wenn es mir gelang, Clovis allein zu sprechen, konnte ich ihn töten und verschwinden, ehe man seine Leiche entdeckte. Ich musste nur eine Möglichkeit finden, ihm nahe genug zu kommen, ohne dass er Verdacht schöpfte.
Gegen sechzehn Uhr zog ich mich an und weckte Giguhl, um mich von ihm zu verabschieden. Er wollte natürlich mitkommen und mir helfen. In der Nacht zuvor war ich zusammengebrochen und
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