Rote Lilien
ein paar Wochen dürfte sich die Kapsel gebildet haben. Dann dauert es noch etwa einen Monat, bis der Samen reif ist. Dass es so weit ist, wissen wir, wenn die Kapsel aufplatzt.«
»Oh, ein Deja Vu-Erlebnis.«
»Hör auf damit. Irgendwie ist das schon merkwürdig.« Er ging zu seinem Computer und gab die Daten ein. »Wir nehmen die Samen, trocknen sie und pflanzen sie im späten Frühjahr. Wenn wir das so machen, keimen sie im Frühjahr nicht.«
»Pflanzen wir sie draußen?«
»Nein, hier drin. Mit Mutters Anzuchterde in 9-cm-Töpfen, aber dann kommen sie nach draußen. Wenn sie groß genug sind, setzen wir sie ins Freigelände. Allerdings wird dann noch ein Jahr dauern, bis sie zum ersten Mal blühen und wir sehen, was dabei rausgekommen ist.«
»Was bin ich froh, dass ich keine zwei Jahre schwanger gewesen bin.«
»Frauen haben es mit den neun Monaten doch gut. Das ist im Handumdrehen vorbei.«
»Dann versuch's doch mal selbst.«
»Ich bin Neuem gegenüber immer sehr aufgeschlossen«, erwiderte er grinsend. »Ich habe die Daten eingegeben, und wenn alles gut läuft, bekommen wir ein paar neue Pflanzen, von denen einige die Merkmale beider Elternteile übernommen haben.« Er warf einen Blick auf ihre Arbeit und nickte. »Wir bekommen das, was wir wollen, und wenn nicht, ist das Ergebnis hoffentlich so nah dran, dass wir noch eine Generation bestäuben oder es mit einem anderen Elternteil versuchen können.«
»Anders ausgedrückt, es könnte Jahre dauern.«
»Die Kreuzung von Liliensorten ist nichts für Schlappschwänze.«
»Mir gefällt es. Und es gefällt mir auch, dass es nicht über Nacht geht. Das steigert die Vorfreude. Und es ist gut möglich, dass man nicht das bekommt, was man erwartet, sondern etwas ganz anderes. Nicht unbedingt etwas, das besser ist, aber genauso schön.«
»Du hast verstanden, um was es hier geht.«
»Jetzt geht es mir wieder gut.« Sie trat einen Schritt von dem Arbeitstisch weg. »Heute war so ein schlimmer Tag. Ich musste die ganze Zeit an das denken, was gestern Abend passiert ist. Es ist mir ständig im Kopf herumgegangen, und ich habe mich wirklich furchtbar gefühlt.«
»Es war nicht deine Schuld.«
»Das weiß ich doch. Aber ein Teil von mir hat sich gefragt, ob wir je wieder so unbefangen miteinander umgehen können. Ob du dich nicht vielleicht unbehaglich oder so fühlen würdest. Ich habe wirklich den Eindruck, als hätte man unsere Liebe in den Dreck gezogen.«
»Für mich hat sich nichts geändert.«
»Ich weiß.« Sie standen nebeneinander am Arbeitstisch, und Hayley legte ihren Kopf an seine Schulter. »Und ich bin schon viel ruhiger, weil ich es weiß.«
»Ich sollte dir vielleicht sagen, dass ich Mitch erzählt habe, was passiert ist.«
»Oh.« Sie verzog das Gesicht. »Es musste wohl sein. Und es ist mir lieber, dass du es ihm erzählt hast. War es schlimm?«
»Nein. Nur ein bisschen merkwürdig. Wir haben ziemlich lange darüber gesprochen, ohne Augenkontakt herzustellen.«
»Ich werde nicht mehr darüber nachdenken«, beschloss Hayley. Sie drehte sich zu ihm um und küsste ihn.
»Aber jetzt sollte ich mit der Arbeit weitermachen, für die ich bezahlt werde. Wir sehen uns später.«
Hayley summte den ganzen Nachmittag vor sich hin. Als Stella einmal vorbeikam, blieb sie stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: »Kreuzungen züchten bekommt dir ja hervorragend.«
»Ich fühle mich großartig. Den zweiten Schritt machen wir morgen.«
»Gut. Heute Morgen hast du nämlich etwas mitgenommen ausgesehen.«
»Ich habe schlecht geschlafen, aber dann habe ich eine kleine Aufmunterung bekommen.« Sie sah sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand in Hörweite war. »Wir lieben uns.« Sie grinste und malte mit den Fingern ein Herz in die Luft. »Ich und Harper.«
»Wow. Was für eine Neuigkeit.« Hayley lachte und fuhr fort, Säcke mit Blumenerde ins Regal zu wuchten. »Wir sind bis über beide Ohren ineinander verliebt - und das haben wir uns auch gesagt.«
»Das freut mich so für dich.« Sie umarmte Hayley. »Wirklich.«
»Ich freue mich auch. Aber ... ich muss dir noch was erzählen.« Hayley sah sich noch einmal um und erzählte Stella, was am Abend zuvor geschehen war. »Großer Gott. Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Es war furchtbar. Mir dreht sich immer noch der Magen um, wenn ich daran denke. Ich weiß gar nicht, wie wir es überstanden haben. Aber wir haben es geschafft. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er
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