Rote Lilien
hinkommen.«
»Sie war nicht gewalttätig.«
»Nein. Aber ...«
Er brach ab und starrte auf die Pinnwand in der Bibliothek. »Eine Vergewaltigung ist nicht immer gewalttätig, trotzdem ist sie ... Jedenfalls hat es sich für mich so angefühlt. Wie eine Art von Vergewaltigung. Als hätte Macht etwas damit zu tun. Ich habe deinen Schwanz, also sage ich, wo's langgeht.«
»Es passt zu der Art von Persönlichkeitsprofil, das wir gerade erstellen. Wenn die Beziehung zwischen dir und Hayley rein sexueller Art wäre, hätte sie es nicht geschafft. Sex, bei dem es nur um Sex geht, ist nicht die treibende Kraft. Das muss dich ziemlich mitgenommen haben.« Harper nickte nur. Er hatte immer noch ein mulmiges Gefühl im Magen. »Wie viel müssen wir noch über sie in Erfahrung bringen, bevor wir sie aufhalten können?«
»Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Wir kennen ihren Namen und einen Teil ihrer Lebensgeschichte. Wir wissen, dass sie eine Urahnin deiner Familie ist. Wir wissen, dass man ihr ihr Kind weggenommen hat - und wir gehen davon aus, dass dies ohne ihre Einwilligung geschehen ist. Oder dass sie zunächst damit einverstanden war, später jedoch ihre Meinung geändert hat. Wir wissen, dass sie hierher gekommen ist, hier ins Haus, und wir müssen annehmen, dass sie hier gestorben ist. Vielleicht, wenn wir herausfinden, wie sie gestorben ist, aber das ist keine Garantie.« Harper hatte sich nie auf Garantien verlassen, weder in seinem Leben noch bei seiner Arbeit. Sein Vater war gestorben, als er sieben gewesen war, was jeder Garantie einer traditionellen Familie ein Ende gemacht hatte. Seine Arbeit bestand aus Experimenten, kalkulierten Risiken, erworbenen Fähigkeiten und reinem Zufall. Nichts davon konnte einen Erfolg garantieren.
Für Harper war ein Misserfolg schlimmstenfalls eine Verzögerung und bestenfalls ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Erfolg.
Doch wenn es um die Frau ging, die er liebte, und um ihr Wohl, war das etwas ganz anderes. Daran musste er denken, als er Hayley gefunden hatte, die gerade dabei war, die Pflanzen zu gießen. Sie trug Baumwollshorts und ein knappes T-Shirt, was im Gartencenter so eine Art Sommeruniform war. An den Füßen hatte sie leichte Pantoletten aus Leinen, die auch einmal einen Guss vertragen konnten, und ihr Gesicht steckte unter einer der Baseballkappen mit dem Schriftzug des Gartencenters, die sie als Werbegeschenk verteilten. Sie sah viel zu traurig und nachdenklich aus. Dass sie tief in Gedanken versunken war, zeigte sich, als er sie ansprach - sie zuckte heftig zusammen. »Gott, hast du mich erschreckt.«
»Das kommt davon, wenn man während der Arbeitszeit mit seinen Gedanken ganz woanders ist. Und da wir gerade von Arbeit sprechen - ich will mit dem Kreuzen anfangen und könnte Hilfe gebrauchen.«
»Willst du es immer noch machen?«
»Was spricht dagegen?«
»Ich dachte, jetzt, nachdem du eine Weile über die Sache nachgedacht hast, willst du etwas auf Abstand gehen.« Er nahm ihr den Gartenschlauch aus der Hand und küsste sie. »Falsch gedacht.«
»Da hab ich ja noch mal Glück gehabt.«
»Komm einfach zu mir rüber, wenn du hier fertig bist. Ich habe Stella schon gesagt, dass ich dich eine Weile ausleihe.« Er legte in der Zwischenzeit die Werkzeuge heraus, die er für seine Arbeit brauchen würde, und suchte die Pflanzen zusammen. Dann gab er den Sortennamen, den Kultivar und den Namen und die Merkmale der gewünschten Pflanze in seinen Computer ein.
Da er nicht allein arbeiten würde, konnte er die Kopfhörer nicht benutzen und schaltete daher von Beethoven auf Loreena McKennitt um. Seinen Pflanzen dürfte es gefallen, und ihm war es lieber als Klassik. Da Hayley hereinkam, als er gerade eine Cola aus dem Kühlschrank holte, wurden zwei Dosen daraus. »Ich finde das alles furchtbar aufregend.« Er drückte ihr die Dose in die Hand. »Erzähl mir mal, was du über Kreuzungen weißt.«
»Na ja, man hat sozusagen eine Mutter und einen Vater, das sind dann die Eltern. Zwei unterschiedliche Pflanzen - sie können von der gleichen Art sein oder von zwei verschiedenen Arten ... wie nennt man das noch mal?«
»Gattung.«
»Genau. Man sucht sich Pflanzen mit stabilen Merkmalen aus und kreuzt sie durch Handbestäubung miteinander. Pollen von der einen, Samen von der anderen - so ähnlich wie beim Sex.«
»Nicht schlecht. Als Elternpflanze verwenden wir diese Zwerglilie hier. Und diese Geflammte hier wird die männliche Elternpflanze, da von
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