Rote Lilien
faszinierend zu wissen, dass die Aussicht auf ein Kind einen Mann so gefügig machen konnte.
Sie nahm an, dass er sich um seine Frau genauso bemüht hatte, wenn diese schwanger gewesen war. Doch dann hatte diese den Fehler gemacht, ihm statt eines Sohnes nur Mädchen zu gebären. Sie würde ihm einen Sohn schenken. Und für den Rest ihres Lebens ausgesorgt haben. Für den Anfang ein größeres Haus, beschloss sie. Kleider, Schmuck, Pelze, eine neue Kutsche - vielleicht noch ein kleines Haus auf dem Land. Er konnte es sich leisten. Sie war sicher, dass Reginald Harper keine Kosten scheuen würde, wenn es um seinen Sohn ging, selbst wenn dieser nur unehelich war. Und als die Mutter dieses Sohnes würde sie sich nie wieder einen Gönner suchen müssen. Sie würde nie wieder flirten und verführen und handeln müssen mit den reichen, mächtigen Männern, denen sie Sex und Trost bot, als Gegenleistung für den Lebensstil, nach dem es sie verlangte. Den sie sich verdient hatte. Sie stand auf und sah sich im Spiegel an. Golden glänzendes Haar, rot und weiß funkelnde Edelsteine, ein silbern schimmerndes Kleid. Und das war jetzt ihre Gegenleistung. Ihr praller, aufgeblähter Leib. Wie fett und unelegant sie doch aussah, trotz des prachtvollen Kleides. Trotzdem war Reginald so in sie vernarrt wie noch nie.
Ständig streichelte er ihren Bauch, selbst wenn sie sich liebten. Und im Bett war er freundlicher, sanfter als jemals zuvor. In diesen Momenten, wenn seine Hände zärtlich anstatt fordernd waren, hätte sie ihn fast lieben können.
Fast. Doch Liebe war nur ein Teil dieses Spiels, und das war alles, was es war - ein Spiel. Ein Tauschhandel, Sex gegen Annehmlichkeiten. Wie hätte sie jemanden lieben können, der so schwach, so hinterlistig, so arrogant war? Eine geradezu lächerliche Vorstellung, so lächerlich wie Mitleid zu haben mit den Ehefrauen, die diese Männer mit ihr betrogen. Frauen, die ihre schmalen Lippen zusammenpressten und vorgaben, nichts zu wissen. Die in die andere Richtung sahen, wenn sie ihr auf der Straße begegneten. Oder Frauen wie ihre Mutter, die sich für einen Hungerlohn den Rücken für sie krumm arbeiteten. Sie hatte Besseres verdient, dachte sie und nahm eine schwere Kristallflasche, um Parfüm auf ihre Kehle aufzutragen. Sie hatte Seide und Diamanten verdient. Wenn Reginald kam, würde sie schmollen, aber nur ein wenig. Und ihm von der Diamantenbrosche erzählen, die sie am Nachmittag gesehen hatte. Dass sie sich nach dieser Brosche verzehrte. Und wenn sie sich nach etwas verzehrte, war das nicht gut für das Kind. Sie war sicher, dass die Brosche am nächsten Tag in ihrem Besitz sein würde. Sie lachte leise und drehte sich vor dem Spiegel um die eigene Achse.
Doch dann blieb sie stehen und erstarrte.
Ihre Hand zitterte, als sie sie auf ihren Bauch legte. Es hatte sich bewegt. Ein leichtes Flattern. Kleine Flügel, die sich bewegten. Sie stand da in ihrem silbern schimmernden Kleid, die Finger auf die sanfte Wölbung ihres Leibes gepresst, als würde sie das, was in ihr war, beschützen müssen. Das, was in ihr lebte. Ihren Sohn.
Hayley konnte sich noch genau an alles erinnern. Selbst als sie morgens aufwachte, deutete nichts darauf hin, dass es ein Traum gewesen war. »Ich glaube, sie hat um Mitgefühl gebeten. Sie wollte, dass ich mich in sie hineinversetze.« Sie saß in der Küche von Harper House und hatte beide Hände um ihre Kaffeetasse gelegt. »Wieso?« Mitch hatte den Kassettenrecorder und sein Notizbuch mitgebracht. »Hat sie dich irgendwann direkt angesprochen?«
»Nein, weil das nicht sie gewesen ist. Ich bin es gewesen. Oder wir beide. Ich habe nicht geträumt. Ich war dort. Ich habe alles gespürt und mit eigenen Augen gesehen. Sie hat es mir nicht gezeigt, ich habe es selbst erlebt.«
»Iss deine Eier, Herzchen«, drängte David. »Du siehst etwas blass um die Nase aus.« Gehorsam aß sie ein paar Bissen. »Sie war wunderschön. Ganz anders, wie wir sie sonst sehen. Und ihr ging so viel durch den Kopf - meinen Kopf -, ach, ich weiß nicht. Wut, weil sich ihr Körper so verändert hatte, Schwangerschaftsbeschwerden, Tricksereien, um noch mehr aus Reginald herauszuholen, Verachtung für Männer wie ihn, für ihre Frauen, Neid, Gier. Alles wild durcheinander.« Hayley brach ab und seufzte. »Ich glaube, sie war schon ein bisschen verrückt.«
»Und wieso war das eine Bitte um Mitgefühl?«, fragte Harper. »Warum sollte dir jemand wie sie Leid
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