Rote Lilien
einen Blick über die Schulter, als die beiden Männer ins Zimmer kamen. »Hol etwas Wasser - und den Brandy.«
»Was ist passiert?«, wollte Mitch wissen. »Sie hatte eine Art Anfall.«
»Lily ... Lily weint.«
»Ich geh sie holen.« Mitch legte Hayley eine Hand auf die Schulter. »Ich geh sie holen.«
»Oh, jetzt erinnere ich mich wieder. Jedenfalls glaube ich, mich zu erinnern. Ich hab Kopfschmerzen.«
»Hayley, wir legen dich jetzt aufs Sofa.«
»Mir ist schlecht«, keuchte Hayley, als Roz ihr aufhalf. »Es hat mich völlig überrascht. Es war ... es war viel stärker als sonst.« David kam mit Wasser und Brandy herein, setzte sich neben Hayley und drückte ihr ein Glas Wasser in die Hand. »Hier, Herzchen, trink etwas Wasser.«
»Danke. Es geht mir schon besser. Ich bin nur noch ein bisschen wacklig auf den Beinen.«
»Da bist du nicht die Einzige«, meinte Roz. »Du hast dich mit ihr unterhalten.«
»Es war ein nettes Gespräch.«
»Du hast ihr Fragen gestellt. Wie hast du das nur fertig gebracht?«
»Trink den Brandy«, schlug Roz vor, doch Hayley verzog das Gesicht. »Ich mag keinen Brandy. Es geht mir schon besser, wirklich.«
»Dann nehm ich ihn eben.« Roz griff sich das bauchige Glas und genehmigte sich einen großen Schluck, als Mitch mit Lily hereinkam. »Sie will ihren Saft. Sie trinkt immer Saft, wenn sie aufgewacht ist«, murmelte Hayley. »Ich hol den Saft«, sagte Mitch. »Nein, das mach ich. Ich möchte für ein paar Minuten etwas Normales tun.« Sie stand auf und nahm ihm das Kind ab. »Na, meine Süße? Wir sind gleich wieder da.« Roz sprang auf, als Hayley das Zimmer verlassen hatte. »Ich werde Harper rufen. Er will bestimmt wissen, was hier passiert ist.«
»Ich wüsste es auch gern«, meinte Mitch. »Hol deinen Laptop und den Kassettenrecorder.«
»Wir haben einfach nur dagesessen und uns unterhalten. Ich habe Roz erzählt, wie schön es gestern Abend gewesen ist, und ihr das Armband gezeigt. Und - tut mir Leid, Harper - dann habe ich ihr noch gesagt, dass ich Gewissensbisse habe, weil du es mir gekauft hast. Ich war wohl sehr aufgewühlt.« Sie sah Roz flehentlich an und bat sie stumm um Verschwiegenheit. »Und dann war sie einfach da. Wie aus heiterem Himmel. Was anschließend passiert ist, weiß ich nicht mehr so genau. Es war, als würde ich eine Unterhaltung hören - als würde man ein Glas an die Wand halten, um zu hören, was die Leute nebenan sagen. Die Stimmen hörten sich so blechern an, und ein Echo gab es auch.«
»Ich hatte den Eindruck, als würde sie sich über etwas amüsieren«, begann Roz. Dann erzählte sie, was passiert war. »Sie war es gewohnt, Geschenke für Sex zu erhalten.« Mitch kritzelte etwas in sein Notizbuch. »Und genau so hat sie auch das Armband, das Hayley trägt, gesehen. Der Gedanke, dass jemand aus Großzügigkeit schenkt, oder um des Schenkens willen, war ihr völlig fremd. Wenn sie etwas bekam, war das eine Art Tausch. Aber nie ein Zeichen von Zuneigung.« Hayley nickte und blieb neben Lily auf dem Boden sitzen. »Sie ist hierher gekommen«, fuhr er fort. »Sie hat selbst gesagt, dass sie eines Nachts hierher gekommen ist. Sie wollte Reginald etwas antun, vielleicht auch dem ganzen Haushalt. Vielleicht hatte sie sogar etwas geplant. Aber sie hat es nicht getan. Wir können wohl davon ausgehen, dass sie hier zu Tode gekommen ist. Sie sagte, sie sei hier. Für immer.«
»Sie ist hier gestorben.« Hayley nickte. »Und sie bleibt hier. Ja. So hat es sich angefühlt. Als könnte ich ihre Gedanken lesen, während es passiert ist. Sie ist hier gestorben, und sie bleibt hier. Und ihr Kind hält sie immer noch für ein Baby. Sie ist so, wie sie damals war, und daher ist ihr Sohn für sie immer noch ein Kind. Glaube ich wenigstens.«
»Und daher fühlt sie sich so zu Kindern hingezogen«, führte Harper ihren Gedanken fort. »Wenn sie heranwachsen, sind sie kein richtiger Ersatz mehr für ihr Kind. Vor allem, wenn sie zufällig zu Männern heranwachsen.«
»Sie hat mir geholfen, als ich in Schwierigkeiten war«, erinnerte sich Roz. »Sie ist sich der Blutsverwandtschaft bewusst. Sie erkennt sie an - zumindest dann, wenn es ihr passt. Hayleys Gefühlsausbruch hat sie hergelockt. Aber dann hat sie all meine Fragen beantwortet und völlig normal geredet.«
»Dann bin ich eine Art Medium.« Hayley unterdrückte einen Schauder. »Aber warum ich?«
»Vielleicht, weil du eine junge Mutter bist«, schlug Mitch vor. »Du bist ungefähr in dem
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