Roter Drache
den Tisch - zwei verstaubte Spulen Super-Acht-Film, jede in einer kleinen Plastiktüte.
»Erstattet Metcalf eigentlich Anzeige gegen Niles Jacobi?«
»Nicht wegen des Diebstahls, zumal er ja sowieso alles erben wird - er und Jacobis Bruder. Vielleicht wegen des Haschisch. Die Staatsanwaltschaft von Birmingham würde dem guten Niles jedenfalls ganz gern am Zeug flicken.«
»Na gut«, brummte Crawford.
Die Leinwand kam von der Gerichtssaaldecke herunter; sie war so angebracht, daß sie sich genau gegenüber der Geschworenenbank befand und den Geschworenen im Verlauf eines Prozesses jederzeit beweiskräftiges Filmmaterial vorgeführt werden konnte.
Graham legte den ersten Film in den Projektor ein.
»Was die Überprüfung der Zeitungsstände betrifft, an denen die Zahnschwuchtel so rasch einen Tattler hätte bekommen können, liegen mir inzwischen mehrere Berichte aus Chicago vor sowie jeweils einer aus Cincinnati und Detroit«, erklärte Crawford. »Damit hätten wir also gleich eine ganze Reihe von Spinnern, die es ausfindig zu machen gilt.«
Graham ließ den Film anlaufen. Eine Angelpartie.
Die Jacobi-Kinder saßen mit simplen Bambusangelruten und Schwimmern am Ufer eines Teichs.
Graham gab sich Mühe, sie sich nicht in ihren kleinen Särgen unter der Erde vorzustellen. Er versuchte, sie nur beim Angeln zu sehen.
Plötzlich begann der Schwimmer des Mädchens zu zucken, um kurz darauf unter der Wasseroberfläche zu verschwinden. Ein Fisch hatte angebissen.
Crawford raschelte mit seiner Erdnußtüte. »In Indianapolis stellen sie sich ziemlich an, was die Überprüfung der Zeitungsstände und der Servco-Supreme-Tankstellen betrifft.«
»Willst du die Filme nun ansehen, oder nicht?« fuhr ihn Graham unwirsch an.
Darauf schwieg Crawford, bis der zwei Minuten lange Streifen zu Ende war, »Großartig«, brummte er dann. »Sie hat einen Barsch gefangen. Doch jetzt zu unserem Profil -«
»Jack, du warst in Birmingham, gleich nachdem es passiert ist«, fiel ihm Graham ungeduldig ins Wort. »Ich war erst einen Monat später dort. Du hast ihr Haus gesehen, solange es noch ihres war - ich nicht. Es war bereits ausgeräumt und von Grund auf renoviert, als ich nach Birmingham kam. Jetzt laß mich also um Himmels willen noch in Ruhe diese Leute ansehen. Dann werde ich dieses blöde Profil schon fertigschreiben.«
Er spielte den zweiten Film ab.
Eine Geburtstagsfeier flimmerte über die Leinwand im Gerichtssaal. Die Jacobis saßen um einen Eßtisch. Sie sangen.
Graham las von ihren Lippen ab: »Haaappy Birth-day to you.«
Der elfjährige Donald Jacobi sah in die Kamera. Er saß am Ende des Tischs und hatte den Geburtstagskuchen vor sich stehen. Die Kerzen spiegelten sich in seiner Brille.
Neben ihm stand sein Bruder und seine Schwester und beobachteten ihn beim Ausblasen der Kerzen. Graham rutschte auf seinem Sitz herum.
Mrs. Jacobi - ihr dunkles Haar fiel nach vorn - beugte sich vor, um die Katze vom Tisch zu scheuchen. Dann überreichte Mrs. Jacobi ihrem Sohn einen großen Umschlag, an dem ein langes Band befestigt war. Donald Jacobi öffnete den Umschlag und entnahm ihm eine große Glückwunschkarte. Er sah in die Kamera hoch und drehte die Karte herum. Darauf stand: »Alles Gute zum Geburtstag - folge dem Band.« Unter heftigem Wakkeln folgte die Kamera der kleinen Prozession in die Küche. Eine Tür, mit einem Haken verriegelt. Die Kellertreppe hinunter, Donald als erster, gefolgt von den anderen, immer dem Band nach. Das Ende des Bands war am Lenker eines ZehngangRennrades befestigt.
Graham wunderte sich, weshalb sie ihm das Rad nicht im Freien überreicht hatten.
Ein abrupter Schnitt auf die nächste Szene sollte seine Frage beantworten. Eine Einstellung auf den Garten, der nach einem heftigen Regenguß unter Wasser stand. Das Haus sah ziemlich verändert aus. Makler Geehan hatte es in einer anderen Farbe streichen lassen, bevor er es nach dem Mord zum Verkauf anbot. Die äußere Kellertür ging auf, und Mr. Jacobi trug das Rad in den Garten. Dies war das erste Mal, daß er im Film zu sehen war. Ein Windstoß zerzauste sein sorgfältig über eine kahle Stelle gekämmtes Haar. Feierlich stellte er das Fahrrad ab.
Der Film endete mit Donalds vorsichtiger erster Probefahrt.
»Wirklich verdammt schade um diese Leute«, bemerkte Crawford. »Aber das ist ja keine sonderlich neue Erkenntnis.« Graham war im Begriff, sich den Geburtstagsfilm noch einmal anzusehen. Kopfschüttelnd holte Crawford ein paar Unterlagen aus seinem
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