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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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seltsamen Verpflichtung ihm gegenüber heraus, folgte Graham ihm durch das ganze Haus. Sich erst ein Bild über ihn zu machen, war eine Art, ihn um Erlaubnis zu bitten, sich seiner Frau zuwenden zu dürfen.
    Graham spürte, daß sie es gewesen war, die das Monster angelockt hatte - so gewiß, wie die zirpende Grille den Tod durch die rotäugige Fliege heraufbeschwört. Nun also zu Mrs. Leeds.
    Sie hatte im Obergeschoß ein kleines Ankleidezimmer. Graham schaffte es, dorthin zu gelangen, ohne sich vorher im Schlafzimmer umzusehen. Der Raum war in warmem Gelb gehalten und wirkte bis auf den zerschlagenen Spiegel über dem Schminktisch unangetastet. Vor dem Kleiderschrank lagen ein Paar L. L. Bean-Mokassins auf dem Boden, als hätte sie sie eben erst abgestreift. Ihr Morgenmantel schien unachtsam an den Kleiderhaken gehängt worden zu sein, und der Kleiderschrank enthüllte die gemäßigte Unordnung einer Frau, die in einer Vielzahl von Schränken Ordnung zu halten hat.
    Mrs. Leeds’ Tagebuch befand sich in einer mit pflaumenfarbenem Samt ausgekleideten Schachtel auf dem Schminktisch. Der Schlüssel war zusammen mit einem Kontrollabschnitt der Spurensicherung mit Klebstreifen am Deckel befestigt.
Graham ließ sich auf einen gedrechselten, weißen Stuhl nieder und schlug das Tagebuch aufs Geratewohl auf:
    Dienstag, 23. Dezember, zu Hause bei Mama. Die Kinder schlafen noch. Als Mama die Veranda verglasen ließ, fand ich es schrecklich, wie dadurch das Aussehen des Hauses verändert wurde, aber jetzt finde ich es sehr schön, hier in der Wärme zu sitzen und auf den Schnee hinauszuschauen. Wie viele Weihnachten wird sie wohl noch mit einem Haus voller Enkelkinder erleben können ? Hoffentlich sehr viele.
    Gestern hatten wir eine anstrengende Fahrt von Atlanta hierher; nach Raleigh hat es zu schneien begonnen. Wir kamen nur schleppend voran. Ich war außerdem von den Reisevorbereitungen ziemlich geschafft. Außerhalb von Chapel Hill hat Charlie angehalten. Er ist ausgestiegen und hat von einem Zweig ein paar Eiszapfen abgebrochen, um mir einen Martini zu machen. Er kam auf seinen langen Beinen durch den tiefen Schnee zum Wagen zurückgestapft, und als ich ihn so sah - Schnee im Haar und in den Brauen -, wurde mit mit einem Mal wieder bewußt, daß ich ihn liebe. Es war ein Gefühl, als bräche etwas unter leichten Schmerzen und als breitete sich dann etwas Warmes in mir aus.
    Ich hoffe, der Anorak paßt ihm. Wenn er mir nur nicht diesen protzigen Ring gekauft hat. Ich könnte Madelyn jetzt noch in ihren fetten Zellulitishintern treten, daß sie mit ihrem angeben mußte und Charlie keine Ruhe damit ließ. Diese vier lächerlich großen Diamanten von der Farbe von schmutzigem Eis. Eiszapfeneis ist so klar. Die Sonne schien durchs Wagenfenster herein und auf den Eiszapfen; er ragte ein Stück aus meinem Glas und bildete an der Bruchstelle eine Art Prisma, das einen roten und grünen Lichtfleck auf meine Hand warf, in der ich das Glas hielt. Ich konnte die Farben förmlich auf der Haut spüren.
    Er fragte mich, was ich mir zu Weihnachten wünschte, worauf ich meine Hände um sein Ohr gelegt und ganz leise geflüstert habe: Deinen großen Schwanz, du Doofie, so weit er nur reingeht... Die kahle Stelle an seinem Hinterkopf wurde rot. Er hat immer Angst, daß die Kinder etwas hören könnten. Männer haben einfach kein Vertrauen in Flüstern.
    Die Seite war mit Asche von der Zigarre eines Kriminalbeamten besprenkelt.
In dem langsam schwächer werdenden Licht las Graham weiter - von der Mandeloperation der Tochter bis zu den bangen Tagen im Juni, nachdem Mrs. Leeds einen kleinen Knoten in ihrer Brust entdeckt hatte.
(Gütiger Gott, die Kinder sind doch noch so klein.)
Drei Seiten später hatte sich der Knoten als kleine, gutartige Zyste entpuppt, die sich problemlos hatte entfernen lassen.
    Heute nachmittag hat mich Dr. Janovich entlassen. Wir sind vom Krankenhaus direkt zum Ententeich gefahren. Wir waren schon so lange nicht mehr dort gewesen. Für so viele Dinge haben wir plötzlich keine Zeit mehr. Charlie hatte zwei Flaschen Champagner und einen Kübel mit Eis dabei. Wir tranken sie und fütterten die Enten, während die Sonne unterging. Eine Weile stand er mit dem Rücken zu mir am Wasser, und ich glaube, er hat ein wenig geweint.
    Susan hat gesagt, sie hätte Angst gehabt, wir könnten mit noch einem Bruder für sie nach Hause kommen. Nach Hause!
    Graham hörte im Schlafzimmer das Telefon klingeln. Ein Klicken, gefolgt vom

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